Brief aus dem Gefängnis

Weit in eine vergangene Zeit zurückk – In Erinnerung an Rosa Luxemburg, die heute vor hundert Jahren ermordet wurde  – ein Brief, den sie im Dezember 1917 aus dem Gefängnis schrieb:    … Ach, Sonitschka, ich habe hier einen scharfen Schmerz erlebt, auf dem Hof, wo ich spaziere, kommen oft Wegen vom Militär, voll bepackt mit Säcken oder alten Soldatenröcken und Hemden, oft mit Blutflecken …, die werden hier abgeladen, in die Zellen verteilt, geflickt, dann wieder aufgeladen und ans Militär abgeliefert. Neulich kam so ein Wagen, bespannt, statt mit Pferden, mit Büffeln. Ich sah die Tiere zum erstenmal in der Nähe. Sie sind kräftiger und breiter gebaut als unsere Rinder, mit flachen Köpfen und flach abgebogenen Hörnern, die Schädel also unseren Schafen ähnlicher, ganz schwarz mit großen sanften Augen. Sie stammen aus Rumänien, sind Kriegstrophäen … die Soldaten, die den Wagen führen, erzählen, daß es sehr mühsam war, diese wilden Tiere zu fangen, und noch schwerer, sie, die an die Freiheit gewöhnt waren, zum Lastdienst zu benutzen. Sie wurden furchtbar geprügelt, bis daß für sie das Wort gilt „vae victis“ … An hundert Stück der Tiere sollen in Breslau allein sein; dazu bekommen sie, die an die üppige rumänische Weide gewöhnt waren, elendes und karges Futter. Sie werden schonungslos ausgenutzt, um alle möglichen Lastwagen zu schleppen, und gehen dabei rasch zugrunde.

Vor einigen Tagen kam also ein Wagen mit Säcken hereingefahren, die Last war so hoch aufgetürmt, daß die Büffel nicht über die Schwelle bei der Toreinfahrt konnten. Der begleitende Soldat, ein brutaler Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstieles loszuschlagen, daß die Aufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte! „Mit uns Menschen hat auch nienmand Mitleid“, antwortete er mit bösen Lächeln und hieb noch kräftiger ein … Die Tiere zogen schließ an und kamen über den Berg, aber eins blutete … Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die war zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz still und erschöpft, und eins, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll … ich stand davor, und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter – es waren seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. Wie weit, wie unerreichbar, verloren die freien saftigen grünen Weiden Rumäniens! Wie anders schien dort die Sonne, blies der Wind, wie anders waren die schönen Laute der Vögel oder das melodische Rufen der Hirten. Und hier – diese fremde schaurige Stadt, der dumpfe Stall, das ekelerregende muffige Heu mit faulem Stroh gemischt, die fremden furchtbaren Menschen, und – die Schläge, das Blut, das aus der frischen Wunde rinnt … Oh, mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht.

Derweil tummelten sich die Gefangenen geschäftig um den Wagen, luden die schweren Säcke ab und schleppten sie ins Haus; der Soldat aber streckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff leise einen Gassenhauere. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei … ”

Aus einem Brief an die Frau ihres ebenfalls inhaftierten Mitstreiters Karl Liebknecht

Rosa Luxemburg (1871 – 1919) geboren in einer wohlhabenden Familie in Russisch-Polen, führende intellektuelle Kraft im linken Flügel der deutschen Sozialdemokratie, wurde im  Ersten Weltkrieg als aktive Kriegsgegnerin in “Schutzhaft” gehalten. Die Mibegründerin des revolutionären Spartakusbundes wurde nach Niederschlaung des  sogenanntgen Spartakusaufstands    wie auch ihr Mitstreiter Karl Liebknecht im Jänner 1919 von Militärs ermordet. Die im rechten Lager als “blutige  Rosa” verunglimpfte Pazifistin, die nach einer Welt des Friedens und der Gerechtigkeit strebte, war eine außerordentlich feinsinnige und sensible Natur- und Tierfreundin. Als sie ins Gefängnis mußte, nahm sie Abschied von ihrer geliebten Katze: “Leb wohl, Mimi, sei nicht traurig, meine Freunde werden für dich sorgen.” Sie sollte sie nie wiedersehen… Rosa Luxemburg, die d Terror ablehnte und den Spartakus-Aufstand mißbilligte, wurde selbst ein Opfer der Gewalt.     C.B.

(aus anima Nr.2/1996 bzw. 1/1999)

 

Kommentare bitte unter office(at)vegetarier.at