Was möchte das Reh?

 (Die folgenden Zeilen standen in der anima Nr.1/2008; wir bringen sie hier als Ergänzung zum vorne stehenden Beitrag “Rehe verhungern lassen”. da sie das Thema  eingehender behandeln.

Zwei Meinungen stehen überspitzt gesagt im Widerstreit. Für die einen sind Jäger Lust­mörder, sie wollen nicht in die Natur eingreifen, die anderen halten die ersteren für Sadisten, die dem Wild keine Schonzeit gönnen und es im Winter verhungern lassen.

 

Der Beitrag geht auf Reaktionen zum Artikel “Mit den Waffen der Frau” in anima Nr.4/2007 ein): Hundert Jahre Proteste gegen die Jagd an sich waren mehr oder minder vergeblich, konzen­trieren wir uns doch auf inzeelne besonders abscheuliche Jagdperversitäten, vielleicht können wir, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, gegen die an. Diese Anregung in der letzten anima brachte uns wütende Pro­teste. Der leicht sexistisch gefärbte Seufzer zum Jägerinnen-Kalender, Frauen sollten den Männern nicht jeden Schwachsinn und jede Brutalität nachmachen, wurde uns zwar nicht angekreidet, dafür unterstellte man uns, wir seien für die Jagd. Eine kühne Behauptung bei fünf Seiten Antijagdtext im letzten Heft.

Eine Falschinformation im vorigen Blatt müssen wir zugeben. Hochstand-Umschnei­den war nicht nur vor Jahrzehnten Protest­übung. Angriffe gegen Jagdeinrichtungen gebe es nach wie vor, sagt man uns, allein im Vorjahr sollen an die fünzig Jägerstände um­geschnitten und sonstige Zerstörungsakte ge­tätigt worden sein. Das bekräftigt allerdings meine Frage nach dem Nutzen solchen Tuns. Wird in einer Zeit hochgepuschter Terroris­musfurcht der Tiersache damit nicht eher ge­schadet?

Besondere Empörung erweckte der Hinweis, bei Treibjagdstörungen seien Prügel zu be­fürchten. Das erstaunt. Nach Einschätzung vieler Tierrechtler sind Jäger brutale, grobe, erbarmungslose Mörder (Ich meine zwar, es sind (leider) meist ganz normale Menschen wie Wurstesser und -Verkäufer). Ja, kann man von solchen Leuten, wenn man ihre ge­setzlich erlaubten Kreise stört, ernstlich Liebkosungen erwarten? In England wurden Jagdstörer schon umgebracht, in den hiesigen jagdgegnerischen Publikationen werden tätli­che Angriffe durch Jäger breit dargestellt. Jeder Kampagnenführer mit einigermaßen gesundem Menschenverstand wird darauf eingehen und Sorge treffen, daß die eigenen Verluste gering bleiben.

Doch kommen wir zum Kern. Wir blicken auf rund hundert Jahre Jagdprotestbewegung mit keinem oder sehr dürftigem Erfolg. Wes­halb hat da jeder Vorschlag, die Protesttätig­keit zu evaluieren, das heißt Wege und Ziele rational zu überdenken, wie Leserbriefe zei­gen, emotionalen Aufschrei zur Folge?

Es gibt grob vereinfacht zum Thema Jagd un­ter Tierfreunden zwei Denkschulen.

Der einen liegt ein Bild unberührter Natur zu­grunde, einer Welt für sich, in der die Tiere ihr eigenes Leben führen. Im Hinterkopf schwebt dabei wohl ein bißchen die Vorstel­lung vom Paradies mit. Umso verständlicher ist die Empörung, wenn der Jäger in diese vermeintliche Welt des Friedens einbricht, als Lustmörder, der allein um seines Vergnügens willen die Tiere hinmetzelt, noch dazu stüm­perhaft. Darum sei die Jagd insgesamt zu verdammen. Was sich in der anderen Welt, der Menschenwelt abspielt an Grausamkeiten gegenüber den Tieren, Massentierhaltung und -tötung, Tierversuche etc. sei eine ganz andere Sache, ohne Beziehung zur Pflicht, das Reich des Friedens vor menschlichem Eingriff zu schützen. Darum ist es auch nicht von Belang, ob in den Supermärkten massen­haft verstümmelte Tierleichen aufgereiht sind, es gilt draußen in der Natur das Aufrei­hen von Tierleichen zu verhindern.

Die andere Seite argumentiert dagegen, diese unberührte Natur gebe es schon lange nicht mehr. Wald und Flur seien von wenigen Aus­nahmen abgesehen, eine vom Menschen ge­schaffene Kunstlandschaft, tierische und menschliche Belange untrennbar ineinander verwoben. Wie der Mensch seine Hand auf die Haustiere legt, habe er auch das Gros der sogenannt jagdbaren Tiere insbes. Reh und Hirsch zu Nutztieren gemacht, ihre Zahl über die Maßen vermehrt. Wir müßten den Tatsa­chen, mag es uns freuen oder nicht, in die Au­gen sehen. Tatsache sei, daß bei uns 97 % der Menschen Fleisch essen. So lange die über­wiegende Mehrheit der Bevölkerung vom Fleischgenuß nicht ablasse, müsse es unsere Hauptaufgabe sein, uns um möglichst erträg­liche Lebens- (und Sterbe-)Bedingungen für alle Tiere, die aufgegessen werden, zu bemü­hen. Unter all den Lebewesen, die ob es uns gefällt oder nicht, dem Verzehr dienen, gehe es dem Wild noch am besten, es sei das artge­rechtest gehaltene Nutztier. Vor dem Verhun­gern geschützt lebe es dazu wenigstens teil­weise länger als einst in der rauhen Natur. Es wäre unter den gegebenen Verhältnissen da­her unglücklich, die Stoßrichtung gerade ge­gen die am wenigstens tierquälerische Nutz­tierhaltung anzusetzen und den Kampf gegen die anderen viel quälerischeren Haltungsfor­men zurückzustellen.  Das wäre so als ob man gegen die Hennen-Freilandhaltung zu Felde zöge, mag sie auch letzthin Tierquälerei sein; dann bliebe die Käfighaltung übrig. Überspitzt formuliert Jagd verhindern hieße im Ergebnis: Schwein und Huhn quälen. Wer kein Rehschnitzel kriegt, wird nicht Vegetari­er werden, sondern zu Schweinsbraten und Backhendl greifen.

Grundsätzliche Meinungsunterschiede gibt es auch zur Frage der Einbürgerung von Präda­toren, d.s. Beutegreifer früher Raubtiere ge­nannt. Wer dem Naturbild huldigt, steht dazu meist positiv. Diese Fleischesser seien eben Teil der Schöpfung, Natur. Wenn der Luchs jährlich fünfzig Rehe oder Kitze tötet, liege das außer­halb des Verantwortungsbereichs des Men­schen.

Die andere Seite wendet sich dagegen, Präda­toren einzubürgern.. Die ursprüngliche Natur sei wenigstens in unseren Breiten vom Menschen längst zer­stört. Raubtiere seien  den friedlichen Wald­tieren nach fast einem Vierteljahrtausend der Ruhe fremd geworden. Ihnen tierliche Jäger, die sich an keine Schonzeit und kein Regle­ment halten, aufzubürden, sie in ständigen Streß zu versetzen, grenze an Sadismus. Mord bleibe Mord, ob eigenhändig vollzogen oder durch gedungene Gesellen.

Schließlich, wir Tierschützer sollten auch die Tiere fragen. Was dürfte dem Reh wohl lieber sein, gleich im nächsten Winter zu verhungern oder gefüttert und erst zwei Jahre später totgeschossen zu werden?

Und zusammenfassend: Mit dem Verbot der Jagd allein sei es nicht getan. Nicht nur der Jäger bringe Tiere um, indirekt auch wir Nichtjäger. Durch die intensive giftfreudige Landwirtschaft, den Verkehr, die Siedlungs-tätigkeit, durch von Menschen geschützte tierliche Jagdfreunde wie Hunde, Kat­zen…

Ob es sich um Mäuse oder Ratten, Fuchs oder Reh, Krähe oder Taube handelt, wir müssen mit allen, mit denen wir nolens volens zu­sammenleben, einen modus vivendi finden, der den Interessen aller Beteiligten möglichst gerecht wird.

Die Tierfreunde also streiten, was wichtiger ist, gegen die Jagd oder gegen intensive Mas­sentierhaltung kämpfen, was richtiger ist, Tauben und Rehe füttern oder hungern las­sen …

Derweilen werden die krassen Jagd-Perversitäten, die alle Tierfreunde einhellig ablehnen, mun­ter fortgesetzt. .

Darum nochmals der Vorschlag: Konzentrie­ren wir uns einmal auf diese Übelstände. Be­mühen wir uns um möglichst viele Bundesge­nossen. Und denken wir dann über Strategien nach, die in der breiten Öffentlichkeit ankom­men.

Erwin Lauppert

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