Das Genfer Jagdverbot

Im Jahre 1974, also vor mehr als vier Jahrzehnten wurde im Schweizer Kanton Genf aufgrund eines Volksentscheids die Jagd verboten. Zeit Resümee zu ziehen. Jagdgegner bejubeln die Entscheidung als Beweis, jagdfreies Leben ist möglich, Jagdfreunde nennen es Heuchelei. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Der Reihe nach:

Die Volksabstimmung, von einigen Tierschutzaktivisten initiiert, hatte eine Zweidrittelmehrheit gegen die Jagd ergeben, allerdings unter sehr geringer Wahlbeteiligung. Genf ist ein städtisch geprägter Kanton. Mehr oder minder hatten an der Sache interessierte Städter die wenigen ländlichen Bewohner überstimmt.

In Österreich und auch in Deutschland ist die Jagd Teil des Grundeigentums, in der Schweiz und in den meisten romanischen Ländern (teil)staatliches Hoheitsrecht. Das erleichtert ein Verbot, es verstößt dort nicht gegen das verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht des Eigentums. Praktiziert wurde die Jagd in Genf bis zum Verbot nicht wie bei uns nach dem Reviersystem sondern nach dem Patentsystem, d.h. jeder interessierte Bürger, der bestimmte Voraussetzungen erfüllte,– in Genf gab es nur ein paar hundert Jäger – durfte gegen Gebühr die Lizenz erweben, innerhalb der idR sehr kurz bemessenen Jagdzeit eine bestimmte Anzahl von Tieren zu erschießen und sich anzueignen. Nun wurde die Jagdregulierung von beamteten Wildhütern vorgenommen.

Es steht außer Zweifel, Wild kann sich ohne Jagd selbst regulieren, auch ohne Raubtiere. Besser und vereinfacht gesagt, das Nahrungsangebot reguliert das Wild. Gibt es zu wenig Nahrung, verhungern die schwächeren Tiere spätestens im Winter, teils mindert sich auch die Geburtenrate. Häufig führt Übervölkerung auch zu Seuchen mit radikalem Massensterben. Beutegreifer können der Übervölkerung in Grenzen steuern, sie fressen den Nachwuchs ohne Rücksicht auf Schonzeiten, letzten Endes bestimmen aber eher die Beutetiere die Zahl der Raubtiere als umgekehrt. Die Frage ist: Welche Auswirkungen hat ein Jagdverzicht auf die Kulturlandschaft, in der wir nun einmal leben, welche Schäden entstehen in Land- und Forstwirtschaft.

Seit 1974 werden die Wildangelegenheiten in Genf von der kantonalen Naturschutzstelle unter der Kontrolle einer Kommission, in der Natur- und Tierschutz vertreten sind, geführt. Der Kommission stand es bis zur Gesamtänderung der Kantonsverfassung vor ein paar Jahren auch zu, unvermeidliche Abschüsse anzuordnen, seither ist die Regierung zuständig. Die praktische Arbeit obliegt beamteten Wildhütern. Der Verantwortliche Inspecteur cantonal de la Faune Gottlieb Dandliker berichtet 2014 in einer Bilanz über 40 Jahre Jagdverbot:

Die Fauna hat sich sehr positiv entwickelt: Der See und die Rhône sind Wasservogelreservate von internationaler Bedeutung. Den Hasen, Bibern und kleinen Raubtiere (Füchse, Wieselartige, Greifvögel) geht es gut. •Die großen Huftiere (Wildschweine, Rehe und Hirsche), haben den Kanton zurückerobert.“

Regulierungsmaßnahmen seien von fallweisen Ausnahmen nur bei Wildschweinen (Anm: 200 bis gegen 500 Abschüsse jährlich) zur Bestandsminderung notwendig.( Rotwild (Hirsche), das wandert, werde bei den Nachbarn (Frankreich und Waadt) reguliert, d.h. geschossen. Allerdings überlege man wegen der Schäden im Wald jetzt auch in Genf Regulierungsmaßnahmen bei Rot- und rehwild. Die Reduzierung der Schwarzwilds werde anders als nach herkömmlicher Jägerübung pfleglich meist in der Nacht mit Nachtsichtgeräten etc. qualfrei vorgenommen.

Besonderes Gewicht häten Vorbeugungsmaßnahmen gegen Wildschäden (weiträumige Elektro-Umzäunung, Abwehrbeschallung, Beiz-Greifvögel etc.) und letzten Endes Schadensvergütung. Von den elf Wildhütern des Kantons seien nur etwa fünf der Jagdverwaltung zuzurechnen, davon zwei der Regulierung (Abschüsse).

Die Kosten beliefen sich auf jährlich 1,2 Millionen Franken (über 1 Mill. €): etwa fünf Wilfdhüterposten 600.000, Präventionsmaßnahmen 250.000 Schadensvergütung 350.000 Franken).

ein Facit: Das Genfer Experiment sollte weder verherrlicht noch ignoriert sein, aber in Zusammenhang mit der geographischer Lage des Kanton analysiert werden.

Das Management von Wildtieren ohne Jagd ist in einem peri-urbanen Kontext möglich und vielleicht sogar wünschenswert. Ganz ohne Regulation ist es sehr schwierig, zumindest betr. Wildschweine, vielleicht auch auf längere Sicht für Hirsch oder Reh (in Abwesenheit von Raubtier).

Regulation durch eine professionelle Wildhut bietet eine hohe Garantie für den Tierschutz (Stress und Schmerzen Verminderung). Management von Wildtieren erfordert Unterstützung und enge Zusammenarbeit mit den Landwirten und Förstern, die die Auswirkungen der Wildtiere erleiden. Naturschutz, und insbesondere Renaturierung der Landwirtschaft und Wälder, sei noch wichtiger als die Jagdverwaltung.

Ganz anders die – natürlich parteiliche – Stellungnahme des Präsidenten des Genfer Jägerverbandes „La St. Hubert“ Eric Schweizer: Das Verbot sei teure Heuchelei und bürokratischer Unsinn. Die Bestandsvermehrung von Reh, Hirsch und Wildschweine hänge mit dem Verbot der Privatjagd nicht zusammen. Die Rebhühner seien unter der Staatsverwaltung fast ausgestorben, aufwendige Hilfsmaßnahmen vor ein paar Jahren (3300 Hühner seien ausgesetzt und die Lebensräume aufwendig verbesert worden) seien vergeblich gewesen: Die durch das Jagdverbot bewirkte Vermehrung der Füchse habe in einem Teil des Kantons zu einer Epidemie geführt, die den Fuchsbestand gegen Null reduzierte, darauf hätten die Hasen so sehr zugenommen, dass zum Schutz der Landwirtschaft 200 gefangen und im Nachbarkanton ausgestzt worden seien. Zur Schadensminderung seien seit den 1980er Jahren Tausende Hasen erlegt worden. Dazu hätten die Wildhüter in den 1980er und 90er Jahren mehr als 1600 Kaninchen abgeschossen und diese damit ausgerottet. Dazu seien von 1974 bis 1914 31.000 Vögel (Wildtsauben, Enten, Stare, Rabenvogel, Reiher) von den beamteten Wildhütern und „genehmigten Privaten“ abgeschossen worden. Unter diesen Gegebenheiten den Kanton „jagdfrei“ zu nennen, sei Heuchelei.

Wir können das nicht nachprüfen. Sei dem wie immer, es zeigt sich, dass es, will man Land- und Forstwirtschaft schützen, nicht ganz ohne „Regulierung“ geht. Das Experiment Genf ist auch deshalb nicht auf das ganze Land übertragbar, weil der Kanton nach Größe und Verstädterung eine Ausnahme ist; er misst 280 km² (zum Vergleich: die Schweiz zählt 41.000, Österreich 83.000 km²), ist stark urbanisiert und dicht besiedelt (ca. 500.000 Einwohne).

Zusammenfassend: Genf ist nicht Jagdfrei. Positiv aus Tierschutzsicht sticht jedoch hervor, dass durch vorbeugende Schutzmaßnahmen Konflikte verringert werden können. Und vor allem, dass durch Verwendung in der tradionellen Jägerschaft verpönter technischer Hilfsmittel dasTöten qualfreier gestaltet werden kann.

Erwin Lauppert

(aus anima Nr,3/2015)