Tätervölker

Zum oben stehenden Beitrtag “Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka” betreffend den Fall des Schweizer Nationaörats  Jonas Fricker hier ein im Jahre 2003 in der Zeitschrift anima erschienener Beitrag, der das immer aktuelle Thema Hoöocaustvergleich aus Anlass einer r Peta-Kampagne (nicht zum ersten Mal) behandelt.

Zur Peta-Kampagne  “Der Holocaust auf deinem Teller” (aus anima Nr.4/2003)

In der Frühjahrsnummer der anima berichteten wir über eine Werbeaktion der Tierschutzorganisation Peta in den USA „The holocaust on your plate (Der Holocaust auf deinem Teller)“, die Schlachttiere mit KZ-Opfern vergleicht. Die Kampagne führte, wenngleich laut Peta von einem jüdischen Philanthropen finanziert, in Amerika zu heftigen Proteste vor allem jüdischer Organisationen.

Die Ankündigung von Peta, die Aktion auch auf Deutschland auszudehnen, brachte hier – angesichts des historischen Nahverhältnisses nicht verwunderlich – ebenfalls herben Widerspruch. So nannte der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland das Vorhaben ungeheuerlich.

Ist die Bezeichnung KZ für verschiedene Formen der Massentierhaltung zulässig und zutreffend? Der Streit ist alt, etliche Autoren, vor allem auch von der linken Seite haben sich in profunder Beweisführung dafür ausgesprochen (vgl. auch die Buchbesprechung zu Patterson, Eternal Treblinka, in anima 1/2003. Eine weitere mehr persönlich gehaltene Stellungnahme Hertha Hegers, deren ganze Familie mütterlicherseits vom NS-Regime ausgerottet wurde, bringen wir zum Schluß.)

Doch vorerst, ob zulässig und zutreffend, es bleibt die Frage, ist der Vergleich nützlich?

Theodor Herzl, der als Begründer des Zionismus gilt, hatte, als Hitler noch ein kleines Kind war, unter dem Eindruck des in der Dreyfusaffaire zutage tretenden Antisemitismus die Überzeugung gewonnen, die Juden würden früher oder später vertrieben und erschlagen werden. Er meinte, nur die Auswanderung in einen selbständigen jüdischen Nationalstaat könne sie retten. Von den Ostjuden, die größtenteils unter unvorstellbar erbärmlichen Verhältnissen leben mußten, umjubelt, scheiterte er nicht zuletzt an der Gleichgültigkeit der saturierten Westjuden, die allein die zur Verwirklichung der Nationalstaatsgedankens notwendigen finanziellen Mittel hätten aufbringen können. Herzl hatte – auch vergeblich – versucht, die Staatenlenker mit folgendem Argument für seine Idee zu gewinnen: Ergreift man für die Juden Partei, hat man die aufgewühlten Massen gegen sich. Ergreift man gegen die Juden Partei, so hat dies beim eigenthümlichen Einfluss der Juden auf den Weltverkehr oft schwere wirtschaftliche Folgen. Der Zionismus ist einfach Friedensstifter.

Mag diese Einschätzung durch Theodor Herzl richtig, falsch oder veraltet sein, in Erinnerung ist noch der Fall des Präsidenten des deutschen Bundestags Jenninger, der seine ausgewogene Rede vor 15 Jahren zum 50. Jahrestag der Progromnacht mit dem Amtsverzicht büßen mußte. Nebenbei, nicht nur er, auch der Vizepräsident des jüdischen Zentralrates, der mit seiner positiven Beurteilung der Rede in Gegensatz zum Präsidenten des Zentralrats geraten war, mußte gehen. Und noch immer schlägt die Affaire Hohmann Wellen, des CDU-Abgeordneten, dessen Rede im Kern volkstümlich formuliert darauf hinauslief, von den Deutschen als Tätervolk zu sprechen sei genau so dumm, wie es wäre, die Juden ein Tätervolk zu nennen. In allen Telefon-Abstimmungen des sicher nicht rechtslastigen Nachrichtensenders n-tv hatten sich anders als der Zentralrat 90 % und mehr gegen einen Amtsverzicht des Volksvertreters ausgesprochen. Wenn die CDU-Leitung ihren Mann dennoch, wenn auch nach längerem Zögern, aus der Fraktion geworfen hat, dürfte die Vemutung nicht ganz unbegründet sein, daß hinter den Kulissen erheblicher Druck auf sie ausgeübt wurde.

Es bleibt da, um auf die Peta-Aktion zurückzukommen, die Frage, ist dem Tierschutz genützt, wenn man sich ohne zwingenden Grund die jüdische Gemeinschaft zum Feind macht?

Damit kein Mißverständnis entsteht, wir wollen im Streit nicht Partei ergreifen. Der gesamte Fragenkomplex Juden und Deutsche (und auch ehemals Deutsche, also Österreicher), Holocaust, Tätervolk, Antisemitismus, Israel, Araber usw., der im Falle Hohmann und auch Peta wieder hervorkommt, ist bekanntlich seit langem Gegenstand heftiger Kontroversen, die nur selten sachlich und nüchtern, meist jedoch mit etwas Schaum vor dem Mund ausgetragen werden.

Ob die Deutschen das Tätervolk sind, ob es laut Hohmann die Gottlosen sind, welchen Volkes auch immer, ob nicht an sich der Begriff Tätervolk Ausdruck nazistisch infiltrierten Denkens und damit verabscheuenswürdig ist, denn schließlich war es eines der Hauptübel des Nationalsozialismus gewesen, in Völkern und nicht in Menschen zu denken, ob das Bestehen auf der Einzigartigkeit des Begriffs Holocaust in der Einmaligkeit dieses Mordens begründet und Ausdruck tiefen schmerzvollen Empfindens ist oder bloß geschäftliches Kalkül, quasi Handels-marke, deren ausschließlicher Besitz gewährleiste, aus dem Leid näherer oder fernerer Verwandter auch noch nach sechzig Jahren Gewinn zu ziehen und israelische Kolonisation zu rechtfertigen, ob es das Ausmaß des verbrecherischen Mordens und die Achtung vor den Opfern gebietet, das Wort Holocaust einzig den jüdischen Toten vorzubehalten oder ob darin – und auch im Totschweigen früherer Völkermorde Deutschlands oder einer seiner einstigen Verbündeten – nicht rassistische Anmaßung liegt und Mißachtung des Leides unzähliger anderer Millionen, die ebenfalls Opfer des von Hitler (und Stalin) angezettelten Krieges geworden sind, ob Gott dem Volk Israel Palästina zu eigen gegeben hat, wie manche Christen und Juden meinen, ob die nazistische Verfolgung die jüdische Landnahme in Palästina rechtfertiget oder Aggression sei, ob die Maßnahmen der israelischen Regierung und ihrer Siedler in den sogenannten besetzten Gebieten, berechtigte Notwehr oder schleichende und brutale Aggression seien, die – Massenmorde ausgeklammert – an die NS-Machthaber im „Protektorat Böhmen und Mähren“ und im „Warthegau“ er-innere, ob die palästinensischen Selbst-mordattentate feiger Terror gegen Wehr-lose und Unschuldige sind oder das letzte Aufbäumen eines Volkes, das erdrosselt wird, ob der deutsche Verteidigungs-minister mit der sofortigen Entlassung des dem Abgeordneten privat Beifall spenden-den Generals gut getan, oder nur der alten Diktatorenmanier gefrönt, Leute, die gegen die Meinung der Herrschenden aufzumucken wagen, kalt zu stellen, und um damit den Nachgeborenen plausibel gemacht hat, warum es zur Nazizeit so wenige wagten Widerstand zu leisten….

All diese Punkte sind nicht unser Diskus-sionsthema. Der Wert einer Werbung wird nicht an ihrer sachlichen Richtigkeit gemessen. Wesentlich ist nur, hebt sie den Umsatz des beworbenen Produkts, in unserem Fall, bringt die Peta-Werbe-kampagne die Menschen zu mehr Ver-ständnis für Tierleid, animiert sie zu Abhilfe, zur Meidung tierquälerisch erzeugter Produkte? Ich fürchte fast, sie ist in diesem Sinne keine gute Werbung. Mit dem KZ- und Holocaust-Argument kehrt man einen Wust ungemein emotionell besetzter Fragen an die Ober-fläche, sie wurden beispielsweise ange-deutet, und führt die Aufmerksamkeit weg von der Tierquälerei in andere Richtung, nämlich ob die Wortwahl blasphemisch ist. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Begriffe KZ und Holocaust für viele Men-schen Heiligtümer sind, deren Verbindung mit Tierleid ihnen als Befleckung er–scheint und dementsprechend intensive Abwehrhaltung erzeugt.

Es ist bezeichnend, daß unsere heimische Presse, als sie mit Leserbriefen und Tierschutz-Aussendungen konfrontiert wurde, in denen von Hühner-KZs und Vergleichen zwischen Menschen-KZs einerseits und Intensivtierhaltung, Schlachthhöfen und Tierversuchslabors andererseits die Rede war, extrem aufge-bracht reagierte (Wiewohl die Wortwahl Hühner-KZ und KZ-Eier von deutschen Gerichten in einem gegen den bekannten Zoologen und Buchautor Grzimnek angestrengten Prozeß als zulässig aner-kannt worden war.) Die inzwischen einge-stellte sozialdemokratische Neue Zeit betitelte ihre empörte Ablehnung mit „Unverfroren“ (siehe anima Nr.3/92), die auflagenstarke dem katholischen Lager zugerechnete Kleine Zeitung mit „Eine Schande“ (siehe anima Nr.3/97).

Letzthin ist der Streit um Vergangen-heitsvergleiche müßig. Wir leben jetzt und heute. Und – an Stelle noch einer langen Liste nur ein Hinweis auf das an anderer Stelle besprochene Schwarzbuch der Markenfirmen und auf die Rücktritts-begründung des früheren UNICEF-Beauftragten für den Irak, das Embargo gegen diesen Staat habe nichts gebracht als den Tod einer halben Million Kinder – gequält, geschunden, getötet wird jetzt und heute, werden Menschen und Tiere. Das ist das Problem, vor das wir gestellt sind und das wir zu lösen uns bemühen müssen. Und wenn wir schweigen und die Achseln zucken, sind wir alle Täter, Tätervölker, jetzt.

An anderer Stelle unseres Blattes haben wir unserer langjährigen, vor wenigen Wochen in eine andere Welt gegangenen Mitstreiterin Hertha Heger, einer vom Holocaust Betroffenen, gedacht. Wir möchten Ihnen, liebe Leser, deren Meinung nicht vorenthalten.

Erwin Lauppert

Frau Professor Hertha Heger schrieb 1992 zum Beschluß der Redaktionskonferenz der damaligen Grazer Tageszeitung Neue Zeit, keine Leserbriefe mit der Wortwahl „Tier-KZ“ und dgl. zu veröffentlichen:

Vorweg: der Leserbrief (in dem von Hühner-KZs die Rede war) und von dem die Kolumne „Unverfroren“ handelt, stammt nicht von mir.

Als Mensch aber, dessen Familie mütterlicherseits fast vollständig in den KZs der Nazizeit umgekommen ist, darf ich mich wohl zu Wort melden. Der auf das Leid der Tiere angewandte Vergleich mit den Greueln der KZs wird heute vielfach angewandt. Prominente Beispiele: Prof. Bernhard Grzimek und Pastor Niemöller sprachen von Tier-KZs und der Nobelpreisträger für Literatur Isaac B.Singer schrieb: „Für die Tiere ist jeder Tag Treblinka“, was wohl dasselbe bedeutet. Nur ausgesprochen anthropozentrisch denkende Menschen können daran Anstoß nehmen.

Leiden ist Leiden. Es ist nicht artenspezifisch verschieden. Der berühmte englische Philosoph Jeremy Bentham, Begründer des Utilitarismus, schrieb schon im 19.Jahrhundert, die Tiere betreffend:“ Die Frage ist nicht: Können sie verständigt denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?

Wenn also ein Tierschützer vom absoluten Maxi mum des vorstellbaren Leidens spricht oder schreibt, mag er es ruhig mit dem furchtbaren Leiden in einem KZ vergleichen. Das wertet die Leiden der dort Zugrundegegangenen keineswegs ab – im Gegenteil – er will damit ausdrücken: Schlimmeres als das KZ kann einem Lebewesen – ob Mensch, ob Tier – überhaupt nicht widerfahren.

In diesem Sinne lehne ich als persönlich Betroffenen den Inhalt der Kolumne „Unverfroren“ entschieden ab.

Hochachtend Hertha Heger

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