Ich wollt’, ich wär’ ein Stier, ein spanischer
Von Maststieren, Kampfstieren und Corridas (Aus anima Nr.1/2016, Seite 6 ff./Abdruck aus anima Nr.1/1997:) Unlängst bat mich ein engagierter Tierschützer, ein Protestschreiben gegen den Stierkampf, gerichtet an einen spanischen Bürgermeister, zu unterschreiben. Während ich die Unterstützungserklärung fertigte, meinte ich so nebenbei: „Also wenn ich die Wahl hätte, ich wäre lieber ein spanischer Stier als ein österreichischer. Darauf mein Tierfreund: ach, geht es denen so schlecht?
Leider, das tut es. In einer der nächsten anima-Nummern mehr dazu. Heute nur eine Erinnerung an die Karremann-Filme über Rindertransporte im TV, und als kleines Schlaglicht auf das Leben davor: Selbst nach den Bio-Richtlinien brauchen Mastrinder über 350 kg keinen Auslauf.
Die Fähigkeit des Menschen, den Splitter im Auge des anderen deutlich zu erkennen und den Balken im eigenen nicht zu bemerken: ist es ein uns von der Natur gnädig gewährter seelischer Schutzschild?
Irgendwie erinnert die kleine Szene an die hohe Politik. Unsere Gegenwart ist grauslich, gegen Menschen, nicht nur gegen Tiere. Darum schweifen wir lieber in die Ferne, dort geographisch, hier zeitlich und arbeiten die Vergangenheit auf. Eine kleine Erinnerung. zwölf Millionen Kinder lassen wir jährlich verhungern, … Wir empören uns, mit Recht, daß zu Nazizeiten das eine oder andere Dorf mitsamt seinen Bewohnern ausgelöscht wurde. Nur, seither und bis heute wurden und werden viele hundert Dörfer liquidiert. …. Zugegeben, es ist alles sehr kompliziert, vernetzt, Gut und Böse zu unterscheiden schwierig, … + Nur nebenbei, vielleicht kämen weniger kurdische Flüchtlinge zu uns, gäben wir im Westen oder die Nato-Staaten indirekt der türkischen Regierung nicht Subventionen fürs Ausradieren von Kurdendörfern…
Bleiben wir bei unserem Metier, den Tieren.
Damit keine Mißverständnisse entstehen. Gegen den Stierkampf im fernen Spanien zu protestieren, ist nicht bloß ein guter alter Tierschützerbrauch, es ist notwendig. Nur sollten wir darüber vor den Mißständen im eigenen Land nicht die Augen verschließen. Unsere Hauptaufgabe bleibt es, vor der eigenen Tür zu kehren. e Fakten: Derr Kampfstier genießt Jahre ziemlich natürlichen Lebens auf der Weide und leidet eine knappe halbe Stunde Schmerz, viel Schmerz in der Arena. Der heimischen Maststier wird meist sein Leben lang tierunwürdig gehalten, fast zu Unbeweglichkeit verdammt, und, erleidet, wenn exportiert, nicht selten tagelange Qualen bis zum Tod. Quälen heimischer Tiere ist keine Rechtfertigung für die Corrida.. Opfer dort ist nicht nur der Toro, es sind Pferde in der Arena, die da oft einen qualvollen Tod erleiden, und Rinder in den Schlachthäusern, wo Stierkämpfer den Todesstich trainieren.
In Meyers Enzyklopädischem Lexikon (1978) lesen wir: „Stierkampf (span. Corrida de toros),ein im alten Ägypten, in Mesopotamien und später bei den Mauren S-Spaniens bekannter (unblutiger) Kampf von Menschen mit Stieren. Der St. wird heute in Spanien, … nach festen Regeln unter Aufsicht eines Kampfgerichts ausgetragen. Die span. Stierkämpfe sind seit Caesar belegt …. Nach dem feierl. Einzug der Stierkämpfertruppe („cuadrilla“) wird der Stier zu Beginn des Kampfes vom Torero mit der Capa, dem farbigen Mantel, gereizt. Im darauffolgenden Lanzenkampf wird der angreifende Stier von den (berittenen) Picadores durch Stiche in den Nacken gereizt (und geschwächt), dann setzen die Banderillos die Banderillas in den Nacken des Tieres . Auf dem Höhepunkt des Kampfes kämpft der Matador allein gegen den bereits geschwächten Stier, reizt ihn mit einem roten Tuch ) und sucht ihn durch einen Degenstoß zwischen die Schulterblätter zu töten. Falls dies nicht gelingt, tötet der Puntillero den Stier durch den Gnadenstoß…. Ein St. dauert etwa eine halbe Stunde; bei einer Veranstaltung werden im allgemeinen sechs Stierkämpfe ausgetragen.“-
Ein spanischer Gottesmann, Kardinalerzbischof Alberto Iniesta von Madrid (siehe anima Nr.3/96) urteilte über das Schauspiel:
„Der Stierkampf ist nicht christlich. Gott hat die Tiere nicht geschaffen, damit wir uns vergnügen, indem wir sie grausam leiden lassen. Sie martern die armen Stiere zu Tode, und sie zwingen die Pferde, sich dem Stier zu nähern, obwohl dieser, wenn er sie auf die Hörner nimmt, ihnen die Eingeweide aus dem Bauch reißen kann. Können wir als Christen und zivilisierte Menschen gleichgültig bleiben gegenüber einem Fest, das den Menschen in dem Maße erniedrigt, in welchem er Leiden hervorruft, die in keiner Weise gerechtfertigt werden können?“
Das ist nicht die einzige spanische Stimme, die sich gegen diese atavistische Volksbelustigung wendet. Deren Gegner sind viele, doch sie sind zu schwach und bedürfen internationaler Hilfe.
Schon vor neunzig Jahren schilderte der spanische Schriftsteller Vicente Blasco Ibanez in seinem Roman Blutige Arena, der Geschichte vom Aufstieg eines Sohnes armer Leute zum bejubelten Matador und seinem blutigen Ende den Widerstreit. Wir erfahren, daß damals die starke anarchistische Partei den Ausschluß aller Mitglieder , die den „barbarischen und rückschrittlichen Stiergefechten“ beiwohnen, verfügte. Wir hören ein Plädoyer für die Corrida, gesprochen von einer Romanfigur (Dr.Ruiz), der die Geschichte des grausamen Brauches darlegt. Er bestreitet, daß der Stierkampf aus alter Zeit stamme:… . „Erst als die Inquisition anfing, matt zu werden und die Autodafés außer Mode kamm begann die Kunst der Stierkämpfe, nach festen Regeln, bestritten von Plebejern, bezahlt ihr Leben aufs Spiel zu setzen.“ Der Doktor fährt fort:…
„Damals, in der Mitte des XVIII. Jahrhunderts, entwickelte sich der Stierkampf zu voller Blüte. Die Wildheit der jahrhundertelang an die Grausamkeit des Autodafés gewöhnten Massen hatte ein Sicherheitsventil nötig, und das Volk, das seine natürliche Expansionskanäle verschlossen sah, fand in dem neuen Nationalschauspiel einen neuen Weg für alle von Mut und Verwegenheit beseelten Ehrgeizigen.„Ein Fortschritt!“ wiederholte der Doktor. „Mir scheint alles klar. Deshalb schäme ich mich als durch und durch republikanisch gesinnter Mann auch nicht zu sagen, daß mir die Corridas gefallen… Der Mensch braucht übrigens den pikanten Reiz des Schlechten, um die Monotonie seiner Existenz zu beleben. Auch der Alkohol ist ein Übel. Wir wissen, daß es uns schadet, dennoch trinkt ihn beinahe jeder….Gefällt es nicht allen, bisweilen den Blick nach rückwärts zu wenden und ein wenig das Leben unserer Vorfahren zu führen? Die Brutalität erweckt nämlich in unserem Innern geheimnisvolle Kräfte wieder, die man nicht sterben lassen soll“ …
„Die Stierkämpfe sind nicht das einzige rohe Schauspiel in der Welt. Die Rückkehr zu starken, wilden Lustbarkeiten ist eine menschliche Krankheit, an der alle Völker in gleicher Weise leiden. Deswegen bin ich entrüstet, wenn die Ausländer ihre Augen stets auf Spanien richten, als gäbe es etwas derartiges nur bei uns. Wieviele Reiter brechen nicht ihr Genick bei den Pferderennen!… Und wohin hat der moderne Sport geführt? Sehen Sie sich die eingeschlagenen Nasen, abgehauenen Ohren, zertrümmerten Schädel und gebrochenen Beine der Champions an! …
Und weiter! Im Namen der Zivilisation verdammt man die barbarischen, blutigen Stiergefechte, und im Namen derselben Zivilisation hegt und pflegt man die schädlichsten Tiere der Welt?… Die Wissenschaft kennt sie zur Genüge und hat alles Wissenswerte verzeichnet. Wenn ihre Vernichtung auch gewissen Seelen zuwider sein sollte, weshalb erhebt sich keine Stimme gegen die heimlichen Tragödien, die sich jeden Tag in den Zoologischen Gärten abspielen? Beobachten Sie, wie sich die Haare des vom Blick der Boa hypnotisierten Kaninchens sträuben, bis es im eisigen Druck ihrer Ringe erstickt… Hundewider sein sollte, weshalb erhebt sich keine Stimme gegen die heimlichen Tragödien, die sich jeden Tag in den Zoologischen Gärten abspielen? Beobachten Sie, wie sich die Haare des vom Blick der Boa hypnotisierten Kaninchens sträuben, bis es im eisigen Druck ihrer Ringe erstickt… Hunderte von Tieren sterben täglich für die Ernährung wilder, vollkommen nutzloser Bestien, die man mit aller erdenklichen Sorgfalt in Städten pflegt, die sich dünken, an der Spitze der Zivilisation zu marschieren. …
Man beleidigt uns, weil wir heute wenig bedeuten,“ rief Ruiz, erbittert über diese universelle Ungerechtigkeit. „Die Welt ist wie ein Affe, der die Gesten seines Herrn nachmacht. Heute befiehlt England, und die Menschen beider Erdhälften sehen dem albernen Schauspiel zu, wie ein paar Pferde über eine Bahn laufen. Leider kamen die Stiergefechte erst auf, als unsere Macht schon bröckelte. Hätten sie aber zu Zeiten Philipps II. dieselbe Bedeutung gehabt wie heute, so gäbe es Plazas in vielen Ländern Europas… Sprecht mir nicht von den Ausländern! Ich bewundere sie wegen ihrer Revolutionen, und weil wir ihnen auf geistigem Gebiete vieles verdanken. Aber was die Stiere anbelangt, reden sie nichts als baren Unsinn.“
Und der Doktor verwünschte mit fanatischer Blindheit alle Völker des Planeten, die den spanischen Stierkampf verabscheuen, ihre eigenen rohen Belustigungen aber nicht einmal durch den Vorwand der Schönheit rechtfertigen können.“….
Im Roman stirbt der Torero Gallardo in der Arena, vom Stier, dem er den Todesstich gab, tödlich verletzt. In der letzten Szene stehen der Arzt Dr.Ruiz und der Banderillo und Freund des Toten, Sebastian genannt Nacional, vor der Leiche
Gallardos Körper lag nackt vor seinen Augen. Eine Wunde – eine einzige – war zu sehen: ein bogenförmiger Schlitz im Bauch, durch den bläuliche Fleischfetzen zum Vorschein kamen.
Traurig schüttelte Doktor Ruiz den Kopf. Für diese grauenhafte Verwundung gab es keine Rettung.
„Doktor … Doktor!“ schluchzte der Banderillero (Nacional genannt,ein Freund des Matadors) und sah ihn mit flehenden Augen an.
Ein langes Schweigen. Noch einmal schüttelte Ruiz den Kopf.
„Es ist aus, Sebastian … Verstört ging der Banderillero hinaus, um zu weinen, herzzerreißend wie ein Kind zu weinen.
Im Hof mußte er beiseite treten, um die in die Arena trabenden Picadores verbeizulassen.
Die Kunde von Gallardos Verscheiden drang zur Plaza. … niemand rührte sich von seinem Sitz. Die Corrida war noch nicht zur Hälfte vorüber, erst zwei Stiere … Warum auf den Rest verzichten? …
Durch das Tor der Arena drang der Lärm der Menge, drang schmetternde Musik.
Und in der Seele des Nacionals stieg ein wilder Haß auf gegen alles, was ihn umgab, ein Ekel vor seinem Beruf und dem Publikum, das ihn ernährte.
Er dachte an den Toro, der jetzt mit verkohltem Hals und starren Beinen, die gläsernen Augen in die blaue Leere gerichtet, aus der Arena geschleift wurde.Er dachte an den jenseits der Backsteinmauer liegenden Freund mit dem aufgerissenen Bauch und dem geheimnisvollen Glanz zwischen den halbgeschlossenen Lidern.
Armer Toro! Armer Matador! … Plötzlich brauste ein gewaltiger Ruf zum Himmel: die Plaza begrüßte die Fortsetzung der Corrida.
Dort brüllte die Bestie, die wahre, die einzige.“ V.B .Ibanez.
Erwin Lauppert