80.000 – 800.000 – 8,000.000

Zur Vegan-Debatte – Ist Milchvezicht taugliche Hilfe – Wie können wir Kälbern helfen?
Eine Portion Nachtigallenzungen oder eine Portion Rindszunge?

In der letzten anima  (und auch in früheren Nummern) hatten wir dargelegt (wie im Vorartikel ” nochmals begründet), Milchverzicht brächte unter den gegebenen österreichischen Verhältnissen unterm Strich keine Minderung von Tierleid sondern nur Verlagerung von Rindern auf Tiere, denen es noch schlechter geht. Das hat uns herbe Schelte eingetragen und den Vorwurf, wir wären Veganismus-Gegner.  Der Vorwurf ist töricht. Genau so könnte man unsere ORF-Wettertante Christa Kummer beschuldigen, sie sei Schönwetter-Feindin, nur weil sie häufig Regen ankündigt. Christa Kummer und wir haben Tatsachen festgestellt: die mögen gefallen oder nicht –  wir hätten auch lieber,  es wäre anders – doch es wäre lächerlich, Tatsachen aus ideologischen Gründen zu ignorieren und den Regenschirm daheim zu lassen.

Die Gesundheitsfrage beiseite gelassen; aus ethisch/moralisch/tierrechtlichen Gründen auf tierische Produkte zu verzichten, als Grundsatz und als Statement, als Aufruf gegen Tierausbeutung, um der trägen Welt, um  den Menschen  die Augen zu öffnen, um zu zeigen, dass es auch anders geht, ist gut und schön; so wie es eine edle Tat wäre, würfe jemand seine Kleider weg und ginge nackt durch die Straßen: als Protest gegen die Ausbeutung unserer Textilarbeiterinnen; die leben bekanntlich – wie Schweine, Hühner, Mastrinder unseren Augen verborgen – weit weg in Bangladesh. (Hoffentlich ginge es ihm dann nicht wie einst dem Waluliso, Friedens- und Umweltpropagandist, der zur Wiener Fremdenverkehrsattraktion verkam – heuer wäre er hundert Jahre alt geworden.

Statements in Ehren, nur: Um allen Tieren, nicht nur einer bevorzugten Art, zu helfen, bedarf es mehr als Tierleid von Rindern auf Schweine zu verlagern und Laktovegetarier schlecht zu machen oder Mörder zu heißen. In Österreich werden jährlich grob gerechnet achtzig Millionen Tiere (einschließlich 500.000 Milchkühe oder Kälber) aufgegessen, Fische nicht mitgezählt. Durch Milchverzicht stirbt – in der Gesamtrechnung – kaum ein Tier weniger, eher mehr, leider.

Unser Hauptproblem ist nicht das Milchtrinken, es ist das Fleischessen. Konzentrieren wir uns nicht darauf, Laktovegetarier zu Veganern zu machen, bemühen wir uns, Fleischessern vorerst den gemäßigten Vegetarismus nahe zu bringen. Das ist  schwer genug – immerhin kleben immer noch  mehr als 90 Prozent der Bevölkerung am Fleisch –  aber es brächte den Tieren insgesamt viel. Da hat sich jemand allen Widerständen der Familie und des Freundeskreises zum Trotz endlich zum Fleischverzicht durchgerungen und der Veggie-Gemeinde reicht das nicht – wird er dann nicht zu den Fleischtöpfen zurückkehren?

In einem Interview in der Tierrechtssendung auf Radio orange wurden mir  in ergreifenden Worten 80,000 alljährlich qualvoll zu  qualvoller Mast ins südliche Europa transportierte Kälber vorgehalten. Dem ließe sich in nicht minder zu Herzen gehenden  Worten das Schicksal von 800.000, nein fünf Millionen Ferkeln und dann Schweinen, das tragische Leben  von acht, nein siebzig Millionen Kükem und Junghühnern  entgegenhalten. Das bringt nichts. Ursache all dieses Elends ist der Fleischhunger, da gilt es anzusetzen.

Übrigens, selbst wenn die Zahl der Veganer in den nächsten Jahren auf fünf Prozent, ja selbst wenn sie auf utopische zehn Prozent anstiege, müssten immer noch 72,000 Kälber auf die Elendsreise.  Alle, denen ihr Schicksal wirklich am Herzen liegt, sind aufgerufen, ´sich mehr einfallen zu lassen als keine Milch zu trinken.

Wir bemühen uns  zum Beispiel im Verein mit der Gesellschaft für humane Nutztierhaltung auf die maßgeblichen Stellen einzuwirken, Milch aus tierfreundlicherer Haltung auf den Markt zu bringen: tierfreundliche Haltung nicht nur der Kühe, auch ihrer Kälber, Milch aus ‚Muttergebundener Kälberhaltung’ (wie der Fachausdruck lautet). Wir glauben, dafür ließe sich eine erheblich größere Zahl von Konsumenten gewinnen als für den Milchverzicht, und damit für viele Kälber ein besseres Leben. Vorerst stoßen wir auf gleichgültige Ablehnung. Vor dreißig Jahren, als wir das Freilandei propagierten als Alternative zum Käfigei, war es ähnlich (an Ei-Verzicht war damals nicht zu denken). Man nannte uns weltfremd, ein so teures Ei kauft doch keiner. Wir brachten es dennoch in die Lebensmittelmärkte und es wurde gekauft.

Alle, denen Kälberschicksal nicht gleichgültig ist, sind herzlich eingeladen, mitzuarbeiten.

 

Große oder kleine Tiere essen egal?

.In der vorerwähnten Radiodebatte konnte ich zur Argumentation meines Gesprächspartners,  es dürfe keine Rolle spielen ob das Tier, das gegessen wird, groß oder klein ist, nicht mehr Stellung nehmen. Darum hier kurz: Sicher,  Liliputaner haben genau so viel Lebensrecht wie groß gewachsene Menschen und kleine Tiere genau so viel wie große.

Eine Portion Rindszunge oder eine Portion Nachtigallzungen gefällig?

Zugegeben: die  Nachtigallzungen sind demagogisch, die Nachtigall nicht. Es gibt Länder, gar nicht weit weg, wo heute noch wenn auch eher illegal kleine Singvögel als Leckerbissen dienen, und Wachteln und Kaninchen  gibt es auch bei uns zu kaufen. Ob um hundert Menschen zu sättigen, ein großes oder hundert kleine Tiere ihr Leben lassen müssen, macht glaube ich schon einen Unterschied, wenigstens für die hundert kleinen.

Erwin Lauppert

Aus der Herbstnummer 2014 der anima. Weitere Aartikel aus dieser Nummer in den Vorbeiträgen und unter www.vegetarier.at