Kreuz und Holocaust

Aus der Zeitschrift anima, Frühjahr 2013:

Manchen wird noch die PETA-Kampagne „Der Holocaust auf deinem Teller“ vor zehn Jahren in Erinnerung sein, die Gegenüberstellung von KZ und Massentierhaltung: Einst haben Menschen unmenschlich Menschen in  KZs  gehalten, gequält, gemordet – sind ja nur Untermenschen, Tiere; sollen wir heute desgleichen tun, fühlende Wesen in KZs halten, quälen, töten und sagen, es sind ja nur Tiere? Die Aktion wirbelte damals viel Staub auf. Der österreichische Oberste Gerichtshof befand sie durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn auch pietätlos, sah aber auch einen positiven Aspekt: Wachrufen der Erinnerung an NS-Greuel.

Deutsche Gerichte sprachen ein Verbot  aus, der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof folgte ihnen und lehnte die Behandlung der von PETA eingebrachten Verfassungsbeschwerde ab. Der darauf von PETA angerufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am 8. November 2012 – Gerichte mahlen langsam – in einem vorläufigen Urteil ebenfalls gegen PETA.

Die Angelegenheit hatte vor zehn Jahren zu erregten Diskussionen geführt; wir wollen darum unseren Lesern die Meinung des EGMR nicht vorenthalten. Das Verbot  war von drei Mitgliedern des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland erwirkt worden, die ihr Begehren auf Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde stützen. Das deutsche Verfassungsgericht ging auf das Thema Menschenwürde nicht ein, Persönlichkeitsrechte seien verletzt, das genüge für ein Verbot; nach ständiger deutscher Rechsprechung können  Juden, auch wenn sie selbst nicht Opfer sind, stellvertretend die Persönlichkeitsrechte von KZ-Opfern geltend machen.

Der EGMR  folgte dem; die Urteilsbegründung auszugweise kurz zusammengefasst (ein Link zum englisch verfassten Urteil findet sich in der Wikipedia im Artikel Tierrechte):

Der Widerstreit zwischen dem Recht auf Meinungsäußerung und den Persönlichkeitsrechten könne nicht losgelöst von der Deutschland aus der Geschichte obliegenden Verpflichtung gegenüber den Juden als Holocaust-Opfern betrachtet werden. Die Instrumentalisierung des Holocaust für andere wenn auch ehrenwerte Zwecke banalisiere das Schicksal der Opfer und stelle so eine schwere Verletzung deren Persönlichkeitsrechte dar, demgegenüber das Recht auf freie Meinngsäußerung zurücktreten müsse. Ein Mitglied des entscheidenden siebenköpfigen Gremiums gab unterstützt vom Vorsitzenden eine andere Begründung: die Kampagne setze Menschen und Schweine (und andere Tiere) gleich; dies bedeute eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde, unabhängig vom Holocaust und bedeute so Verbot der Kampagne nicht nur in Deutschland sondern überall.

So oder so, das Urteil bestätigt: Der Holocaust ist als einmaliges Grauen tabuisiert, jeder Versuch anderes auch noch so großes Greuel dem Begriff zu unterstellen, Sakrileg. Parallelen zum christlichen Kruzifix drängen sich auf. Auch das ist  Symbol der Einmaligkeit des Opfertodes Jesu Christi. Jede Instrumentalisierung für andere Zwecke (zB Frauenrechte, Tierrechte) wird von Gläubigen als Blasphemie empfunden.  Sachliche Einwände  – Kreuzigen war im Altertum eine vielhunderttausendmal  geübte grässliche Urteilsvollstreckung, Hinweise auf kommerzielle Interessen wie in Goethes Faust angedeutet – greifen da nicht. Eben so wenig beim Holocaust. Sachliche Hinweise, die die Einmaligkeit in Frage stellen – Völkervernichtung ist leider nichts Neues, angefangen in grauer Vorzeit mit der laut dem Buch Josua von Gott anbefohlenen und getreulich ausgeführten Ausrottung der Bewohner Palästinas, bis ins 20.Jahrhundert, Herero, Armenier, Tutsi, um nur einige zu nennen – laut Berechung eines amerikanischen Universitätsprofessors sind nach dem Zweiten Weltkrieg schon hundert Millionen Menschen oder viel mehr staatlicher Drangsalierung zum Opfer gefallen  – prallen ab.

Auch der Einwurf, das Scheinwerferlicht allein auf den Judenmord zu richten, lasse die anderen Verbrechen Adolf Hitlers im Schatten, das unermessliche Leid der zahllosen anderen Opfer des Nazi-Regimes, namentlich das vieler, vieler Millionen Menschen slawischer Zunge, und erinnere so an rassistische Differenzierung, sticht nicht.

Unsere anima hat sich vor zehn Jahren und auch schon vor zwanzig Jahren aktualitätshalber  eingehender mit den Argumenten der Befürworter und der Gegner des Holocaust- und KZ-Vergleichs auseinander gesetzt. Ich vertrat damals und tue dies auch heute noch einen pragmatischen Standpunkt. Sinn und Zweck einer Werbekampagne ist es, für das Beworbene einzunehmen, in unserem Falle den Menschen Tierleid  nahe zu bringen und sie zu bewegen, von der mit Messer und Gabel bewirkten Anstiftung zu Tierquälerei abzulassen. Führt die Werbeaktion zu Empörung, nicht über die alltägliche Tierquälerei in den Massenställen sondern über den Vergleich, empfinden ihn die Angesprochenen als Befleckung ihrer Menschenwürde, ob zu Recht oder zu Unrecht ist da gleichgültig, lenkt sie vom Werbegegenstand ab, dann hat sie ihr Ziel verfehlt und man soll sie bleiben lassen.

Mag sie auch früher einmal durchaus werbewirksam gewesen sein. Der Zeitgeist ändert sich nun einmal. Der jüdische Literatur-Nobelpreisträger Isaac Singer konnte den Vergleich noch unbeeinsprucht nennen. Als  Prof. Grzimek, Zoologe und Fernsehstar, vor vierzig Jahren die Batteriekäfige als Hühner-KZs brandmarkte und das Wort KZ-Hühner aufbrachte, fand er Zustimmung bei prominenten KZ-Opfern  und in ihrer Würde beeinträchtigt  empfanden sich nicht diese sondern die Hühner-Industriellen; die rannten zu Gericht. Grzimek obsiegte. Das einprägsame Wort half alternativen Haltungsformen auf den Weg.

Zwanzig Jahre später war es schon anders. Als die zweite Vorsitzende unserer Vereinigung, die vor zehn Jahren verstorbene Hochschulprofessorin Hertha Heger – fast ihre ganze mütterliche Verwandtschaft  war dem Holocaust zum Opfer gefallen – in einem Leserbrief  den Begriff verwendete, heulten unsere Grazer Zeitungsredaktionen auf und belegten sie mit Schreibverbot. Es scheint, je ferner die Zeit, umso flammender die Empörung. Vergangenheits- statt Gegenwartsbewältigung.

Verfechter des KZ-Vergleichs stehen unter Beschuss. Charles Patterson stieß mit „Eternal Treblinka“ auf herbe Kritik; Helmut F. Kaplan, im deutschen Sprachraum als herausragender philosophischer Verfechter der Tierrechte, bekannt, der die peta-Kampagne  verteidigte und  den Vergleich für wichtig und zutreffend hält (siehe www.tierrechte-kaplan.org), musste sich als menschenverachtender Holocaust-Relativierer beschimpfen lassen und sein Name wurde aus dem Artikel „Tierrechte“ der wikipedia entfernt. Auch der Vorwurf des Antisemitismus, der Rechtslastigkeit oder gar Nazi-Nähe ist da nicht fern, wenn auch absurd: Antispeziesismus als  Steigerungsstufe des Antirassismus ist wohl die der Nazi-Ideologie  entgegengesetzteste Denkrichtung.

So wie es auf Seiten jüdischer und anderer KZ-Opfer positive Stimmen zum Holocaust-Vergleich gibt, die in ihm Mahnung sehen, einen Appell an die Menschen, Leiden und Sterben im KZ soll nicht nur Anlass für salbungsvolle Gedenkreden sein, es soll an die Menschenpflicht erinnnern, davon abzulassen andere zu quälen, mögen es Menschen, mögen es leidensfähige Kreaturen sein. 

So  stößt auch die Instrumentalisierung des Kruzifixes im christlichen Bereich nicht nur auf Blasphemie-Rufer. Der Kapuzinermönch Dr. Rotzetter schreibt in seinem jüngsten Buch „Streicheln, mästen, töten“  siehe die Bücherrubrik Seite 19) von einer Tierschutzaktion, einem  Plakat mit einer gekreuzigten Katze; heftige Proteste frommer Kreise, der Ruf „Gotteslästerung“ waren die Folge, auch die Schweizer Bischöfe protestierten. Rotzetter knüpft daran längere Betrachtungen, berichtet auch von einem Skandal im Jahre 1959 – ein Künstler hatte eine nackte junge Frau am Kreuz dargestellt, er wollte damit auf das qualvolle Leben der Frauen in manchen Ländern hinweisen – das Werk  wurde beschlagnahmt.

Der Skandal in diesen Fällenliegt nicht in der bildlichen Darstellung, meint der Mönch, sondern in der Verweigerung, die im Bild gegebene Nachricht aufzunehmen. Die Botschaft der Bilder sei eindeutig. Das Kreuz stelle die Parteinahme Gottes für alle Leidenden und Missachteten dar – auch für die Tiere. Solange der fromme Christ das nicht begreife, habe er nichts begriffen.

Erwin Lauppert