Beschneiden, abschneiden, durchschneiden

Aus anima,Nr.3.2012, 20.9.2012: Wenige Gerichtsurteile haben einen derartigen Nachhall, eine solche Aufregung im Blätterwald nach sich gezogen, wie das Urteil eines deutschen Gerichts, die rituelle Beschneidung als gesetzwidrig und strafbar einzustufen.

Das Thema wurde sehr kontrovers von allen Seiten beleuchtet, rechtlich, medizinisch psychologisch, aus religiöser Sicht usw.  Die Debatte schwappte über, ergriff neue Themen, wie das Durchstechen der Ohrläppchen kleiner Mädchen. Gerade dass nicht auch die psychische Belastung von Säuglingen durch Weihwasser bei der Taufe in Streit gezogen wurde.

Es ist nicht Aufgabe einer Tierrechtszeitung sich in diese Debatte zu mengen. Uns fällt nur auf, dass es bei all den aufgeregten Gesprächen um althergebrachte religiöse Bräuche , ein an sich nahe liegendes Thema, dass noch vor einigen Jahren zu intensiven  Auseinandersetzungen geführt hatte, unbeachtet blieb: die rituelle Schächtung. Auch hier handelt es sich um althergebrachtes für die Betroffenen sehr schmerzhaftes Religionsgut,  Der einzige Unterschied, der Schmerz trifft Tiere, nicht Menschen.

Nun wissen wir, der Stellenwert von Tieren ist in unserer Gesellschaft  gering. Doch andererseits ist auch die technische Gestaltung der Schächtung religionsintern gesehen von geringer Bedeutung gegenüber der Beschneidung. Diese betrifft für die Religionsgemeinschaft Essentlielles, ähnlich der Taufe im Christentum, die Einführung in die religiöse Gemeinschaft.  Während es sich im anderen Fall nur um den rechten Weg bei der Umwandlung von Tieren in Nahrungsmittel handelt, Lebensmittel, die auch nach den religiösen Geboten niemand zu essen verpflichtet ist.

Im Laufe der Jahrhunderte, im Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und Anschauungen haben die Religionsgemeinschaften viele ihrer in den heiligen Büchern vorgeschriebenen Gebote angepasst oder über Bord geworfen, z-B. das Gebot eine vergewaltigte Frau zu steinigen (Deuteronomion 22,23).  Nicht einmal die ultraorthodoxesten Religionsanhänger denken daran, die Einhaltung dieser Norm zu fordern, in unseren Landen wenigstens.

Die moderne Wissenschaft hat Techniken entwickelt, die dem Sinn des Schächtens nicht zuwiderlaufen und dazu das religiöse Gebot, Tiere nicht zu quälen, erfüllen, etwa die Elektro-Kurzzeitbetäubung. Sie ermöglicht eine reversible Bewusstseinstrübung zu erzeugen, die das Tier kurzfristig ohnmächtig werden lässt, seine Lebendigkeit jedoch nicht beeinträchtigt. Etliche muslimische und jüdische Gemeinschaften bzw. Autoren haben dies als tragbare Lösung in Einklang mit den religösen Geboten anerkannt.

Gerade jetzt hat der Gesundheitsminister anlässlich der Einführung einer EU-Verordnung über das Schlachten mit einem Gesetzentwurf, der absichtlich oder unabsichtlich (siehe Seite 24) die rituelle Schächtung ohne Einschränkungen wieder erlaubt, die mit dem Kompromiss im  Tierschutzgesetzes 2005 befriedeten Gemüter wieder in Wallung gebracht.

Da also durch die unglückliche ministerielle Vorgangsweise  die Debatte wieder eröffnet ist, wäre es angebracht, zu überlegen, an Stelle  der wenig praktikablen geltenden Regelung im Gespräch mit allen Betroffenen, Religionsgemeinschaften und Tierschutz eine bessere Lösung anzustreben. Als solche käme die Elektro-Kurzzeitbetäubung vor dem Schächtschnitt in Betracht.                                                                                               E.L.