Was haben Moslems, was Vegetarier nicht haben?

Wiedergabe aus der anima – Winternummer  2010/2011, Seite 17: (Sie können alle älteren anima-Hefte auch unter www.vegetarier.at lesen).
Anlass für diese etwas holprig formulierte Frage ist eine Begebenheit in einer Tagesschule im kleinen Städtchen Betzdorf im Westerwald, Rheinland-Pfalz, mit ca. 300 Schülern, davon 45 Moslems. Handelnde Personen:  eine seit 18 Jahren an der Schule tätige 59jährige Lehrerin und ihr Schüler, der kleine 9jährige Ünal und ein, zwei andere muslimische Kinder, dann noch der Schulleiter, ca. 15 türkische Eltern, und im Hintergrund die Schulbehörde.

1.Akt, Ende Februar 2010: Essensausgabe, zwei Schüsseln mit Schnitzeln unbeschriftet werden von der Lehrerin unabsichtlich vermengt. Ünal und ein oder ein paar andere türkische Kinder bekommen versehentlich  Schweinsschnitzel, Ünal fragt nach, worauf die Lehrerin den Kindern freistellt, das Fleisch zu essen oder nicht.

2.Akt, ein Tag später. Ünals Mutter beschwert sich telefonisch bei der Lehrerin, die entschuldigt sich, anscheinend ohne Erfolg.

3. Akt, ein paar Tage später:  Ca. 15 oder nach der Schulwebsite mehrere muslimische Eltern erscheinen Beschwerde führend beim Schulleiter, sehr aufgebracht, der Schulleiter beurlaubt die Lehrerin für zwei Tage, um den Konflikt zu klären. Am Folgetag spricht er sich mit der Lehrerin aus.

Den weiteren Verlauf des Dramas können wir unseren Lesern leider nicht eindeutig erzählen, die Textbücher variieren zu sehr. Unbestritten ist nur: Die Lehrerin sitzt seit zumindest acht Monaten daheim (für die Steuerzahler, die  den Ersatz honorieren müssen, nicht ganz billig); sie sagt, der Schulleiter hätte ihr zu verstehen gegeben, sie möge die Schule meiden und sich an eine andere versetzen lassen, die Eltern hätten gedroht, sonst alle türkischen Schüler abzuziehen. Der Schulleiter bestreitet das; zwar hätte der Konflikt in der Aussprache nicht geklärt werden können, doch die Lehrerin hätte sich von sich aus  am Folgetag krank gemeldet und sei dies seither.

Unbestritten ist weiters und so steht es  auf der Schulwebsite: „Um Vorfälle der oben genannten Art zu vermeiden, wurde (Anm. im März) mit der Catering-Firma beschlossen, zukünftig neben vegetarischem Essen nur noch Geflügel und Rindfleisch anzubieten“, also kein Schweinefleisch mehr. Da fühlten sich zur Abwechslung wieder Schweinefleisch-Freunde diskriminiert. So gibt es seit Herbst laut Schulleiter auch wieder Schweinefleisch, nur die Schulwebsite weiß es noch nicht.

Zu allem Übel wurde die Sache im Oktober von RTL und Bild-Zeitung – es lief gerade die Sarrazin-Debatte – reißerisch aufbereitet; die Folge: heftige Ausfälle gegen den Schulleiter.

Die Sache ist als Betzdorfer Schnitzelkrieg nicht gerade in die Weltgeschichte, doch in die rheinische Lokalgeschichte eingegangen, lassen wir sie dort.

Uns genügt die Lehre: Eine kleinere religiöse  Minderheit vor einer Generation zugezogen kann wenn sie nur mit Nachdruck entschlossen und geschlossen auftritt, eine Angehörige der Mehrheitsbevölkerung, die versehentlich gegen ihr Speisegebot verstieß, zwar nicht auf den Scheiterhaufen bringen, doch immerhin aus dem Beruf stoßen und wenigstens zeitweise der Mehrheit ihr Speisegebot aufdrängen. Ein bemerkenswerter Erfolg. Ob allerdings erstrebenswert?

Wie steht es demgegenüber mit der Anerkennung des  Vegetarismus im praktischen Leben. Vegetarier sind im Kern letztlich auch eine Glaubensgemeinschaft, mit dem Dogma „Töten für Nahrungszwecke ist unmenschlich“ und es gibt sie, teilweise organisiert, in unseren Landen seit fast eineinhalb Jahrhunderten.

Unzweifelhaft hat sich in den letzen zwanzig Jahren viel zugunsten der Vegetarier geändert. Zuvor galten Fleischverweigerer ja eher als seltsame Käuze und ob man in öffentlichen Einrichtungen, Krankenhäusern, Erholungsheimen fleischloses Essen bekam, hing vom – meist vorhandenen – guten Willen der Verantwortlichen ab. Als vegetarisch ausgewiesene Speisen gab es in Restaurants natürlich nicht.

Das ist seit etlicher Zeit anders. Nicht nur in Betzdorf. Auch bei uns gibt es in öffentlichen Einrichtungen in der Regel zur Auswahl auch ein vegetarisches Menü. Ein Vorfall wie noch 1992, dass ein Rekrut, der sich weigert, Fleisch zu essen, vom Militärarzt in die Psychiatrie eingewiesen wird – zwar schon damals ein Ausnahmefall – ist Vergangenheit. So 100prozentig klappt es allerdings noch nicht. Es gibt immer noch, wenn auch nicht häufig, Beschwerden, u.a. aus dem einen oder anderen Altenheim. Auch wird der Begriff vegetarisch manchmal großzügig ausgelegt. Und gar veganes Essen gibt es kaum. (Nebenbei: Der Menüplan in der Schule gegenüber meinem Fenster hier in Graz:  Montag bis Donnerstag ein Fleischgericht, am Freitag vegetarisch, für alle).

Dass man sich hier je so devot beflissen vor Vegetariern verbeugt hätte wie in Betzdorf vor einer anderen Minderheit, davon war noch nicht zu hören. So bleibt die  Frage: Was haben Moslems, was Vegetarier nicht haben?

E.L.