Vegan ist nicht genug

Vegan ist nicht genug

Wiedergabe aus der anima – Frühjahrsnummer 2011, Seite 12 (Sie können alle älteren anima-Hefte auch unter www.vegetarier.at lesen).

Gesetzt den Fall, einen Veganer trifft es, ein paar Tage mit einem Bauern zusammenzuleben, der seine Tiere konventionell, d.h. mehr oder minder mies hält. Und gesetzt den Fall, der Veganer sagt: Ich missbillige jegliche Nutztierhaltung. Darum, lieber Bauer, setzte ich keinen Fuß in deinen Stall. Doch ich fordere dich auf, deine Nutztierhaltung raschest aufzugeben. Das tut der Bauer natürlich nicht. Hat der Veganer recht getan oder hätte er nicht doch in den Stall gehen sollen? Dort nachschauen, ob es kleine Verbesserungsmöglichkeiten gibt, die der Bauer vielleicht akzeptiert?

Einst vor langer Zeit im alten Rom, war das Kreuzigen als Todesstrafe üblich. Eine sehr grausame Methode . Es dauerte viele Stunden, wenn nicht einen Tag, bis der Tod eintrat.  Unsägliche Schmerzen und Durst. Gesetzt den Fall, ein entschiedener Gegner dieser grausamen Todesfolter  geht an einem Kreuz vorbei und das Opfer bittet um einen Tropfen Wasser. Doch der Spaziergänger lehnt ab: Hülfe ich dir, hieße das, ich würde das Kreuzigen akzeptieren. Aber sei versichert, ich werde mich mit aller Kraft für die Abschaffung dieser Kulturschande einsetzen. Wird ihm der am Kreuz dankbar sein oder wird er ihn verfluchen?

So vor dreißig Jahren schlenderte ein Mann in einem kleinen Vorarlberger Städtchen durch eine einsame Gasse. Da hörte er eine Stimme aus einem Kellerschacht „Helfen Sie mir, ich bin da eingesperrt“. Der Passant entgegnete: „Ich kann Ihnen nicht helfen“ und ging weiter. Er wusste, die Stimme kam aus dem Gemeindearrest. Was er nicht wusste, der Häftling in der Zelle war schon fünf Tage ohne Wasser und Brot. Dem Fußgänger ist kein Vorwurf zu machen. Dass jemand im zivilisierten Österreich, einem Rechtsstaat, im Gefängnis vergessen wird und am Verdursten ist, konnte er wirklich nicht ahnen. Der Fall ging übrigens relativ gut aus. Als man ca. zehn Tage später einen anderen einsperren wollte, bemerk-te man den Gefangenen. Wider alle ärztliche Erfahrung war er noch am Leben. Man installierte darauf Alarmklingeln in den Zellen.

Wer heute an einem Stall vorbeigeht, kann anders als der erwähnte Passant ahnen, dass manches oder sehr vieles in dem Tiergefängnis nicht zum Besten steht. Dass es Tierquälerei ist, zwar nicht nach dem Gesetz, doch nach moralischem Empfinden, das kann heute nicht unbekannt sein. Seit vor fast fünfzig Jahren Ruth Harrison mit dem Buch „Tierfabriken“ erstmals den Finger in die Wunde legte, sind unzählige Informationsschriften in die Welt gegangen, haben sich Zeitungen, Fernsehen, Schriftsteller mit dem Thema befasst. Niemand kann guten Glaubens einfach weitergehen und sagen ich habe keine Ahnung.

Dennoch müssen wir nüchtern realisieren, es sind nur ganz wenige, die radikal die Konsequenz ziehen, auf Tierisches verzichten. Für die Masse der Tiere leider ohne Bedeutung. Wohl aber zeigt sich: ein erheblicher Prozentsatz der Bevölkerung ist bereit, Produkte zu wählen, die aus der Sicht der Tiergerechtheit  zwar nicht ideal sind, ihr aber doch erheblich näher kommen. Davon haben dann auch viele Tiere etwas. Das Freilandei hat es bewiesen. Nur, damit man sie kaufen kann, müssen diese Produkte erst einmal da sein.

In Ställe zu gehen, um Mängel aufzuzeigen, ist heute praktisch nicht mehr möglich. Das Strafgesetz steht dagegen. Doch bessere Produkte schaffen, für die Tiere weniger leiden müssen, ist möglich. Zum Beispiel Eier mit dem Wert 38 statt 28 nach der Tiergerechtheitsskala (TGI), oder Milch mit dem Wert 28 statt 21. Es ist nicht leicht, das war es auch nicht beim heutigen Freilandei mit dem TGI-Wert 28. Von allein kam es nicht in die Supermärkte. Es war harte Arbeit.

Bessere Produkte schaffen kostet viel Zeit und Mühe, doch es lässt sich wie gesagt  machen. Man muss es nur tun. Darum unser Appell und unsere Frage, wer will sich engagieren?