Und wieder der Wolf

Zur Diskussion: Und wieder der Wolf

Wiedergabe aus der anima – Frühjahrsnummer 2011, Seite 13 -15: (Sie können alle älteren anima-Hefte auch unter www.vegetarier.at lesen).

Ein Vorstoß des Kärntner Agrarlandesrats hat die Wolf-Debatte wieder belebt. Angetrieben von Kärntner Almbauern,  die den Tod von 250 Schafen und einer trächtigen Kalbin im Vorjahr beklagen, meinte er: Ich als Agrarreferent sagte deutlich, wir brauchen in Kärnten weder Wolf noch Bär. Stopp der Ansiedelung und Dezimierung der Tiere, die da sind.

Das Ansinnen stieß auf heftige Widerrede, sowohl der anderen politischen Parteien als auch etlicher Tierschutzorganisationen. Der Kärntner Landes-Wildbiologe zeigte sich entsetzt: Von Bär und Wolf seien nur 170, 180 Tiere gerissen worden, viele Schafe seien Opfer wildernder Hunde, in manchen Jahren locker 500. Schafe im Alpenraum frei laufen lassen, so Naturschützer  habe es bis zur Ausrottung des Wolfes in der Menschheitsgeschichte nie gegeben.

Auf der ORF-Internetseite konnte das Publikum abstimmen: rund 20 % waren für den Abschuss, 40 % für Belassung des Bestandes, 40 % für noch mehr Wölfe. Wie viele Leute sich an der Abstimmung beteiligten, konnte oder wollte der ORF nicht sagen, räumte jedoch ein, dass eine Person unschwer auch mehrfach abstimmen kann. So geben derartige Abstimmungen die  tatsächliche Meinungsverteilung kaum wieder. Nur ein kleiner nicht repräsentativer Personenkreis surft im Internet, gut verbundene  Gruppen können die Abstimmung steuern.

Beispielsweise stimmten kürzlich bei einer Internet-Abstimmung einer Grazer Zeitung (Auflage ca. 100.000) zur Frage „Wollen wir einen Veggie-Tag?“ von rund 400 Teilnehmern 95 % mit ja, und zur Frage „Tiere fürs Essen schlachten?“ 70 % mit nein; Zahlen abseits jeglicher Realität.

Unmut unter der ländlichen Bevölkerung ist nicht auf Kärnten beschränkt. Beträchtliche Schadensfälle werden auch aus anderen Bundesländern gemeldet Aus dem Grenzgebiet Tirol/Bayern kommen Klagen: Die Schadensbilanz dort auf der bayerischen Seite: 19 Schafe, 9 Stück Rotwild; Schafe, eine Kuh und ein Fohlen in der Steiermark.

Hier brach auch ein Bär in ein Hirschgehege ein. Die Zivilisation verwehrt es dem Rotwild, winters wie einst in die Flussniederungen zu wandern. Um Schälschäden zu vermeiden, wird es in der kalten Jahreszeit meist in Wildgattern gesammelt und gefüttert. Faktisch ist der Hirsch fast zu einem  von Menschen gehaltenen Nutztier geworden, allerdings zu einem der artgerechtes gehaltenen. Bricht das Rotwild auf der Flucht vor Raubtieren aus dem Gatter und verteilt sich  in den Wäldern, sind vermehrte Schälschäden die Folge.

Bäuerliche Empörung kommt auch aus Ostdeutschland, u.a. aus Mecklenburg und Brandenburg. Dort grub sich ein Wolf in den letzten acht  Monaten in fünf Gehege und tötete laut Zeitungsberichten jedes Mal zahlreiche Tiere, einmal in einem Damwildgehege 24 Tiere, in einem anderen 7 Damhirsche und sieben Schafe, in einem Schafgatter  13 von14 Tiere, in einem zweiten 15 Schafe und schließlich drei Rentiere.

„Dieses Verhalten des Massentötens – sagt Erik Zimen, führender Fachmann  und Freund der Wölfe – kennen wir von vielen Beutegreifern. Die überoptimalen Tötungsauslöser eingepferchter Beutetiere, die nicht entkommen können, sind so stark, dass die Raubtiere vor lauter Töten gar nicht zum Fressen kommen.“

Ein Wolf braucht in freier Wildbahn laut Erik Zimen 2,5 bis 10 kg Fleisch täglich. Bietet man ihm auf dem Tablett weidende Schafe und Rinder an, wird er die nehmen, findet er sie oder Wild in Gattern, kann er dort Blutbäder anrichten.

Gibt es nichts dergleichen, wird er jagen, was sich leicht fangen lässt, in der Saison Rehkitze, übers Jahr so sechzig oder mehr erwachsene Rehe. Das, sagen die Wolfsbefürworter, fällt bezogen auf die Abschusszahlen (260.000 Rehe jährlich, dazu 70.000 Fallwild, davon die Hälfte Opfer des Straßenverkehrs) nicht ins Gewicht, selbst wenn es hundert Wölfe wären. Das Gegenargument: Der Wolf bedeute ständige Angst für das seit zwei Jahrhunderten des Räubers ledigen durch lange Schonzeiten geschützte Wild.

Im kommunistischen Jugoslawien hatte man den Unmut der Betroffenen über die vielen für westliche Jagdgäste gehegten Bären auf fragwürdige Weise gedämpft. Sie, die Bären, bekamen Pferde als Mahlzeit vorgesetzt; ob lebende oder tote blieb im Dunkeln. Auch bei uns meint der eine oder andere: „Bedenkenlos werden im Zoo (vormals) lebende Tiere an gefangene Tiere verfüttert – zum menschlichen Vergnügen – warum nicht auch an frei laufende Tiere? Zehn Schweine pro Wolf und Jahr dürften reichen. Dann ließen sie wahrscheinlich  satt und bequem die Weidetiere in Ruhe. Jährlich essen die Österreicher fünf Millionen Schweine. Tausend davon für hundert Wölfe abzuzweigen, wäre leistbar.“ Die anima braucht nicht zu betonen, dass ihr auch Schweine am Herzen liegen und Zoos nicht gefallen.

Das Berliner Journal, eine auflagenstarke Boulevardzeitung hatte reißerisch über den brandenburgischen „Blutwolf“ berichtet, dennoch sprachen sich in der Zeitungsabstimmung (Zahl der Teilnehmer unbekannt) die Hälfte der Teilnehmer gegen Abschuss oder die Vertreibung des Wolfes aus.

Die Meinungen prallen also aufeinander.

Ein Argument der Befürworter: Der Wolf war einst hier heimisch, er  wurde brutal getötet oder vertrieben. Er hat ein Anrecht auf Wiederkehr.

Dazu die Gegenseite: Vertreibung, Flucht, und Massentötung waren im vergangenen Jahrhundert  (und früher) ein schmerzlich häufiges Phänomen millionenfach, auf der ganzen Welt,  für Tiere und Menschen. Die Erde hat sich weitergedreht,  Wiedergutmachung an die Enkel wäre neues Unrecht gegen die neuen Bewohner. Unter Menschen ist die neue Ordnung akzeptiert (mit wenigen Ausnahmen wie in Palästina/Israel, wo sich ausgetriebene Araber noch wehren; allerdings ist dort die Vertreibung noch im Gange). Hand aufs Herz, was würden Sie sagen, stünde vor Ihrer Tür einer und sagte: Meine Urgroßtante hatte hier gewohnt, wurde vertrieben und erschlagen. Jetzt gebt mir gefälligst ein Zimmer und Zugang zum Eisschrank?

„Richten wir uns eine Natur ein – in der nur mehr das uns Genehme zugelassen wird? – schrieb eine Leserin zum Wolf-Bericht in der anima Nr.1/2010.  Rotten wir gleich auch die Füchse und natürlich die Raben und Krähen, die Fischottern aus? Oder glauben wir noch ein wenig an eine Natur göttlicher Ordnung, in der wir uns einrichten dürfen, aber ohne Kahlschlag?“

Die Naturliebe der Wolfsfreunde, so die Gegner, sei sehr einseitig: „Die meisten Tierfreunde verbannen Mäuse und Ratten aus ihrem Haus, der Gesetzgeber verpflichtet zur Tötung. Die Mühlen bekämpfen die Nager als Getreideschädlinge mit schärfsten Giften. Katzen schneiden wir uns zurecht auf Wohnungsverträglichkeit, die Natur, die göttliche Ordnung passt uns da nicht. Wisente und Auerochsen bürgern wir nicht wieder ein, das würde zwar nicht die göttliche aber unsere menschliche Ordnung zu sehr stören… Tatsache ist, wir Menschen gehen zum Schutze und zur Steigerung unseres Wohlstands und unseres Vergnügens sehr rabiat mit der Natur und ihren Tieren um. Da kommen Wölfe und Bären wie gerufen, um unsere Naturliebe zu demonstrieren. Sie stören nicht die Ordnung unserer Wohnungen, Gärten und Parkanlagen, verwüsten keine Felder, bleiben – hoffentlich – fern von uns in wenig besiedelten Gegenden, meiden bei Tag den Menschen – die Angst vor dem größten Raubtier sitzt ihnen noch in den Genen, fressen nur den Jägern Wild und ein paar Bauern Schafe weg, weiter nicht schlimm, den finanziellen Schaden tragen andere und schließlich, Schafe essen wir ja auch.“

Ein Vorschlag: Wenn es uns wirklich ernst ist um die Natur, warum dann nicht Nägel mit Köpfen machen. Da gibt es z.B. den Truppenübungsplatz Döllersheim-Allentsteig. Adolf Hitler hatte dort die Menschen ausgesiedelt, weil er eine Trainingsstätte für seine Angriffskriege brauchte. Unsere Regierung folgte, als sie das Land 1955 von den Sowjets zurückbekam, Hitler und hielt die Bewohner weiter ausgesperrt. Heute sind die einstigen Siedler gestorben, das Bundesheer ist fraglich geworden, Angriffskriege wenigstens führen wir nicht, warum an einer miesen Errungenschaft Adolf Hitlers festhalten? Vieles wird restituiert. Warum nicht das Gelände restituieren, wenn schon keine Menschen mehr dort sind, an die Natur. Warum nicht dort ein echtes Naturschutzgebiet schaffen ohne menschlichen Eingriff, mit Wölfen? Statt die Wölfe in unsere Kulturlandschaft setzen?

Oder: Aus der Sicht etwa des Jahres 1960 sind wir heute sehr sehr reich.  Da könnten wir uns eigentlich sogar ein größeres Stück reine Natur leisten als die 160 km2 Truppenübungsplatz, z.B. 800  km2, ein Prozent der Landesfläche im kaum besiedelten Salzatal mit den angrenzenden Höhen im steirisch/niederösterreichischen Grenzgebiet. Allerdings, wird die Liebe der Österreicher zur Natur so groß ein, dass sie auch Entschädigungszahlungen in Kauf nehmen?

Wölfe haben zu wollen, sei eine typische Idee der Ökoromantikstädter, die gerne in den Urlaub in heile Landschaften fahren wollen, meinen Gegner der Wiederansiedlung. „Keine Tierart in Europa  lebt heute noch unabhängig vom Menschen, sagt Zimen. Wir sehen den Wolf in romantischer Verklärung als Symbol letzter Wildheit. Doch der kennt keine Ästhetik , kennt keinen Abscheu davor, im Müll des Menschen zu wühlen. … Wenn wir darum bemüht sind, diese Abhängigkeit des Wolfs vom Menschen abzubauen, tun wir es nicht für den Wolf, …  ja nicht einmal für so etwas Abstraktes wie das ökologische Gleichgewicht, sondern für uns selber und für unsere nostalgische Seele.“

Wie soll es mit dem Wolf weitergehen? Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser? Schreiben sie uns!