Zu viele Kühe oder zu viele Menschen?

Die negativen Auswirkungen der modernen industriellen Viehwirtschaft sind Fachleuten seit langem bekannt: Landverschwendung, Vernichtung des Regenwalds, Nahrungsmittelverschwendung, Energieverschwendung, Wasserverschwendung, Verschmutzung von Grundwasser- und Oberflächengewässern, Negative Folgen des Ammoniakausstoßes für Wald und Boden (Übersäuerung) und für die Feinstaubbelastung, indirekte Gesundheitsschädigung durch Antibiotikaeintrag ins Ökosystem, und insbesondere die Auswirkungen auf das Klima, der Treibhauseffekt durch Methangas, Kohlendioxid und Stickstoffoxide. (Die Beiträge der Rinderhaltung – 1, 3 Milliarden auf der Welt – zum Treibhauseffekt sind ähnlich groß wie die des gesamten Autoverkehrs, wenn wir die Waldrodung fürs Rind und die Futtermittel einbeziehen).

Langsam, da der Klimawandel droht, wagen es auch Politiker und Großorganisationen, vorsichtig für Reduzierung des Fleischkonsums einzutreten: Greenpeace publiziert einen Werbespot: Ohne Fleisch geht’s auch, der Vorsitzende des Weltklimarats, Nobelpreisträger Rajenda Pachauri unlängst in der Tagespresse: „Wir müssen auch unsere Eßgewohnheiten ändern. In einer Welt mit hohem Fleischverzehr wird das Fleisch industriell erzeugt – mit sehr hohen CO2-Emissionen.“, usw.

1,3 Milliarden Rinder, woher kommen sie? Sind die Wisente und Auerochsen wiedererstanden und haben sich ins Uferlose vermehrt? Ins Uferlose vermehrt haben sich wir Menschen. Und Menschen verlangen – unvernünftig – nach Fleisch, sobald sie glauben, es sich leisten zu können. (Der Fleischkonsum in China etwa hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt.) Glauben, es sich leisten zu können weil wir die wahren Kosten vorerst nicht zahlen, weil wir wie oben schlagwortartig angedeutet, von der Substanz unserer Erde leben. Zahlen werden es unsere Nachkommen. Damit Fleisch noch billiger scheint, wird die Produktion dazu teils auch noch subventioniert, auf Kosten der Steuerzahler, auch der fleischabstinenten.

Es gibt zu viele Rinder, doch der Ursache Kern: es gibt immer mehr Menschen. Die, wird immer behauptet, unterscheiden sich vom Tier durch ihre Vernunft. Doch wo bleibt sie, wenn es um die Vermehrung geht? Der Hunger in weiten Teilen der Welt und vermutlich manch Bürgerkrieg hängt mit der Überbevölkerung zusammen (Ruanda und Burundi zB hatten um 1930 drei Millionen, jetzt – trotz Völkermord – bald neunzehn Millionen).

Und auch der Klimawandel. Nach Einschätzung von Experten würden bei einem Anstieg der Weltbevölkerung bis 2050 auf nur acht Milliarden anstelle der bislang projizierten neun Milliarden Menschen etwa ein bis zwei Milliarden Tonnen weniger Kohlendioxid (CO2) freigesetzt, heißt es im Weltbevölkerungsbericht 2009 des UNFPA (United Nations Population Fund).

Doch geschieht etwas, um dem Bevölkerungsanstieg entgegenzuwirken? Außer in China, wo aber die Ein-Kind-Regelung nur beschränkt wirkt, wenig, sehr wenig. Die Entwicklungshilfe für Familienplanung wurde gegenüber 1995 um die Hälfte gekürzt. Das Thema interessiert unsere Regierungen offenbar wenig.

In Europa gibt es trotz ungeheurer Verluste im 2. Weltkrieg um viele Menschen mehr als zuvor (in Österreich fast zwei Millionen), auch in den letzten Jahren ist in der EU die Einwohnerzahl angestiegen, die Geburtenrate in den meisten ihrer Mitgliedsstaaten höher oder gleich der Sterberate. Dennoch versuchen die Regierungen den Menschen einzureden, die Bevölkerung müsse wachsen (nach dem sonst so verpönten Schneeballprinzip), wenn nicht durch mehr Geburten, dann durch Einwanderung. Um die Relation zwischen Arbeitenden und Rentnern zu wahren, sonst könne man die Alten nicht mehr versorgen.

Eine kühne Behauptung, die viel Glaubenbereitschaft fordert, wenn zugleich allein in Österreich hunderttausende Arbeitslose nach Arbeit suchen, unzählige arbeitsfreudige Menschen, allen Beteuerungen, die Lebensarbeitszeit müsse verlängert werden, zum Trotz, als zu alt brutal aus dem Arbeitsleben gedrängt werden, man das Arbeitseintrittsalter immer weiter hinauschiebt …

Vor hundertzwanzig Jahren, als der Parlamentsabgeordnete Karl Morré das Volksstück „s’ Nullerl“ schrieb, eine flammende Anklage gegen das damalige miese System kaum existierender Altersversorgung, kam auf zwanzig Arbeitende vielleicht ein Arbeitsunfähiger. Damals ersehnten die Menschen „von der Zukunft Fernen, daß Brot und Arbeit uns gerüstet steh’n, daß unsere Kinder in der Schule lernen und unsere Greise nicht mehr betteln geh’n.“ Der Wunschtraum ist Wirklichkeit geworden (nur mit der Arbeit hapert’s ein bißchen). Aber nicht, weil jetzt statt zwanzig vierzig für einen Alten werken. Die vor einem halben Jahrhundert noch undenkbare Wohlstandsvermehrung danken wir menschlichem Erfindungsgeist. Der hat uns einen Märchentraum erfüllt: die Heinzelmännchen, sprich die Maschinen.

Da wirkt die Propaganda, die uns einzureden versucht, wir bräuchten mehr Arbeitskräfte etwas antiquiert, und es regt sich der häßliche Verdacht, es geht den Einwanderungs-Propagandisten gar nicht um die Altersversorgung sondern um die Reduzierung der Löhne und Abschaffung von Sozialleistungen durch billigere importierte Arbeitskräfte. Der Verdacht wird stärker: An vielen vielen Orten unserer Welt leben Millionen Flüchtlinge; die vegetieren unter erbärmlichen Bedingungen und können nicht einmal im Traum daran denken, in reichere Länder zu kommen. Zu denen fällt besagten Propagandisten so gut wie nichts ein.

Der Kreis schließt sich: immer mehr Tiere, Nutztiere auf immer engerem Raum zur Gewinnmaximierung, immer mehr Menschen, Nutzmenschen auf immer engerem Raum zur Gewinnmaximierung.

Umdenken wäre am Platz.               E.L.

Aus anima Nr. 4/2009, Winter 2009