George Bernard Shaw
„Zum Gedenken an den am 26. Juli vor 165 Jahren geborenen Nobelpreisträger eine zu seinem 60.Todestag in der anima Nr.4/2010 erschienene Würdigung:
Tiere sind meine Freunde – und ich esse meine Freunde nicht. George Bernard Shaw – ein überzeugter Vegetarier
In der letzten anima hatten wir eines Schriftstellers von Weltgeltung gedacht – Leo Tolstoi, vor hundert Jahren von uns gegangen. Vor sechzig Jahren im Novem- ber 1950 ist ein zweiter Großer gestor- ben, George Bernard Shaw, Nobelpreis- träger für Literatur, wie Tolstoi Vegeta- rier. Darum in dieser anima ein paar Worte des Gedenkens.
Shaw wurde 1856 in Dublin geboren, in eine so hundert Jahre zuvor aus England eingewanderte Familie des gehobenen Mittelstands (ohne Mittel, wie er sarkas- tisch bemerkte). Der Vater war dem Alko- hol zugetan, die Mutter darob ihrem Mann entfremdet, tröstete sich mit Gesangstu- dien. Seine Schulzeit war nicht allzu er- folgreich – Shaw hielt Zeit seines Lebens das Schulsystem seines Landes für ver- fehlt. – Er lernte da aber immerhin eines: die katholischen Iren, von den irischen Protestanten englischer Wurzel zwar nicht gerade als Untermenschen, doch als un- tere Menschen abgewertet, sind nicht we- niger wert. Ein zweites nahm der Heran- wachsende mit dank der Leidenschaft seiner Mutter , profundes Musikwissen in der Sparte Gesang, für den späteren Mu- sikkritiker Hilfe. Mit fünfzehn Jahren be- gann Shaw eine Bürolehre, mit zwanzig ließ er das Büro und zog nach London zu seiner Mutter. Die war schon Jahre zuvor ihrem Gesangslehrer dorthin gefolgt. Es folgte ein knappes Jahrzehnt finanziell eher kümmerlichen Lebens. Er versuchte sich als Romanschriftsteller ohne Erfolg, schulte seine Rednergabe in Debattier- klubs, studierte (u.a. Karl Marx und Ri- chard Wagner) und wurde bald bedeu- tendes Mitglied der gerade gegründeten Fabian Society, einer intellektuell ge- prägten kleineren Gruppe, die gesell- schaftliche Veränderungen in Richtung Sozialismus auf evolutionärem Weg an- strebte, Vorläuferin der britischen Arbei- terpartei. Viele Jahre war Shaw auch un- ermüdlich als Redner und Propagandist für diese Sache tätig, etliche Jahre um 1900 auch Stadtrat in einem großen Lon-
doner Bezirk.
Allmählich konnte er sich als Musik-, Li- teratur- und Theaterkritiker unkonventio- neller Art etablieren. Schon damals legte er den Grund zu seinem späteren Beinamen „der große Spötter“; „G. B. Shaw – Geist und Ironie“ lautet der Titel der von Hesketh Pearson verfassten Schriftsteller-Biographie. Seine eigentliche Bestimmung fand Shaw erst in den neun- ziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts als Dramatiker. Über fünfzig Stücke ent- standen im Laufe seines Lebens, häufig sozialkritischer Tendenz, komödiantisch und ernst, meist mit ironisch- satirischem Einschlag. Es geht weniger um Handlung als um den Streit der Meinungen. Ein be- sonderes Merkmal seiner Arbeiten sind die Vorworte zu den Schauspielen, oft erheb- lich länger als diese selbst. Er behandelt hier ausführlich die in den Stücken ange- schnittenen moralischen, sozialen, religiö- sen und politischen Probleme. Im Alter von 70 Jahren erhielt Shaw den Literatur- Nobelpreis „für ein Œuvre, das von Idea- lismus und Menschenliebe gekennzeichnet ist, für seine brillante Satire, die sich oft mit außergewöhnlicher poetischer Schön- heit verbindet.“ Es ist hier nicht Raum genug, um auf all seine Aktivitäten und Anschauungen näher einzugehen, er- wähnt sei nur noch seine wie erwähnt aktive Teilnahme am politischen Gesche- hen und viele diesbezügliche Schriften.
Der Vegetarier Bernard Shaw
In einer Vegetarierzeitschrift interessiert natürlich vor allem die vegetarische Seite.
Shaw wurde bereits früh Vegetarier, mit ca. 25 Jahren, nachdem er sich eingehend mit dem englischen Dichter Shelley (1792 – 1822) befasst hatte. Der Vegetarismus Percy Bysshe Shelleys wurde von seinen Zeitgenossen meist als Spleen abgetan. Tatsächlich gab es aber im angelsächsi- schen Raum bereits im 18. und auch schon im 17.Jahrhundert ernsthafte Vor- denker, teils religiös teils naturalistisch fundiert. Der Vegetarismus Shelleys war
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vornehmlich naturalistisch begründet, wie in seiner Schrift A Vindication of Natural Diet dargelegt.
Zu erwähnen ist: Die vegetarische Le- bensweise war im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts durchaus nicht auf ein paar kautzige Außenseiter beschränkt (wenngleich Shaw in der Öffentlichkeit bald als solcher galt.) Ihr Anhängerkreis war zwar sehr klein, mehr oder minder aufs bürgerliche Milieu beschränkt. Doch bedeutende Persönlichkeiten propagierten sie, wie erwähnt Tolstoi, Richard Wagner, zu dessen Werk Shaw eine besondere Beziehung hatte; auch Viktor Adler, der Begründer bzw. Einiger der österreichi- schen Sozialdemokratie war wenn auch nur kurze Zeit Vegetarier. Zahlreiche ve- getarische Restaurants waren entstanden.
Shaw nannte Fleischessen Kannibalimus ohne Heroismus. Seine Haupteinwände gegen den Fleischkonsum:
Er ist verabscheuungswürdig – Tiere sind unsere Mit-Geschöpfe. Ich hege starke verwandtschaftliche Mitgefühle für sie.
Sein zweites, sonst eher selten gehörtes Argument: Fleischessen ist in sozialer Hinsicht schädlich. Es bedeutet immense Versklavung der Menschen durch die Tie- re. Kühe und Schafe benötigen eine Schar von Dienern, Geburtshelfer, Hirten, Züchter , Schlächter , Fleischer , Milchmäd- chen usw. Diese menschliche Arbeitskraft sollte man lieber dem Aufziehen und Betreuen von Menschen widmen.
Schließlich: Vegetarismus fördert Ge- sundheit und Energie.
Shaw und die Vivisektion
In einer Würdigung des Schriftstellers aus Tierschutzsicht darf seine entschieden negative Einstellung gegenüber der Vivi- sektion nicht fehlen. Shaw, der überhaupt kein Freund der Schulmedizin war, sagt in der langen Vorrede zu seinem 1906 ver- fassten Theaterstück The Doctor’s Dilem- ma (Arzt am Scheideweg) viel Negatives zum Ärztewesen. Vieles davon ist zeitge- bunden, manches auch heute noch aktu- ell. Von den über hundert Seiten des Ela- borats handeln dreißig von der Vivisekti- on. In wenigen Zeilen kann seine Argu-
mentation nur bruchstückhaft wiederge- geben werden:
Zahlreiche Schriftsteller, Fürsprecher der Menschlichkeit haben dem natürlichen Entsetzen des geistesgesunden Menschen über die Grausamkeit des Vivisektors und der Verachtung, die ernste Denker ge- genüber seinen schwachsinnigen Ausre- den hegen, Ausdruck verliehen. Nicht ein Arzt unter tausend ist Vivisektor, hat das geringste finanzielle oder fachliche Inte- resse an dessen Tätigkeit. Dennoch stim- men die Ärzte der Vivisektion zu, genau so wie sie irgend einer anderen dummen Mode zustimmen. Das Geheimnis ist, wie konnte Vivisektion zu einer Mode werden.
Die Neugier, das Streben nach Wissen ist dem Menschen immanent, doch ohne Be- schränkung, losgelöst von den Gesetzen der Ehre, führt es zu Anarchie und Grau- samkeit. Keinem Menschen wird erlaubt, seine Mutter in einen Ofen zu stecken, auch wenn es eine wichtige Erkenntnis wäre herauszufinden, wie lange ein Mensch der Hitze widersteht. Die Gesell- schaft sagt: Nein, du darfst deine Mutter nicht martern, nicht einmal wenn du da- durch ein Heilmittel gegen Krebs finden könntest. Dumme und gefühllose Men- schen, denen nicht klar ist, dass ein Hund ein Mitgeschöpf und manchmal ein guter Freund ist, werden vielleicht sagen, aber einen Hund schon, aber sicher nicht: Du darfst meinen Hund martern. Während die dümmsten Menschen eigentlich sagen, wenn du das Wissen nicht erlangen kannst, ohne deine Mutter zu verbrennen, musst du auf das Wissen verzichten, sa- gen die weisesten Menschen: Wenn du das Wissen nicht erlangen kannst, ohne einen Hund zu martern, musst du auf das Wissen verzichten.
Die öffentliche Unterstützung der Vivisek- tion gründet sich fast allein auf die Versi- cherung, diese Methode bringe der Allge- meinheit große Wohltaten. Er gebe nicht einen Augenblick zu, solch eine Verteidi- gung sei stichhältig, selbst wenn jene Versicherung zuträfe. Wissenschaftliche Erkenntnis ist kein Freibrief für Un- menschlichkeit.
Die Erfindung des Röntgens hat der Medi- zin mehr Erkenntnis gebracht, als alle
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Vivisektion. Wenn die Vivisektoren versi- chern, es gebe keinen anderen Schlüssel zur Wissenschaft als Grausamkeit, „ant- worten wir kurz und verachtungsvoll: Sie meinen, sie sind nicht gescheit oder menschlich oder energisch genug, einen anderen Schlüssel zu finden.“ Warum finden so viele Tierversuche statt, weil sie billig sind.
Gegner der Vivisektion werfen den Wis- senschaftlern manchmal Hang, Trieb zu Grausamkeit vor. Dieses Argument ist zwiespältig. Einmal, weil die allermeisten, die Grausamkeit praktizieren, dies nicht aus Drang zu Grausamkeit sondern nur aus Routine tun. Zum anderen, weil Grau- samkeit nicht auf Vivisektoren beschränkt ist, sondern sich in vielen Bereichen des menschlichen Lebens finde.
Er sei einmal von einer Antivivisektions- gesellschaft zu einer großen Veranstal- tung eingeladen worden Gemeinsam mit Fuchsjägern und anderen, die Jagd, als Sport betreiben, mit Damen in Hüten und Mänteln, die sie dem grausamen Fallen- stellen und der rohen Ausrottung unserer Mitgeschöpfe verdankten, mit Liebhabern weißen Kalbfleischs und von Gänseleber- pastete etc. sei er auf der Tribüne ge- standen. Er habe in seiner wirkungsvollen Rede nicht gegen Vivisektion allein son- dern die Grausamkeit im allgemeinen ge- sprochen. Eingeladen habe ihn die Gesell- schaft nie mehr.
Wäre da noch der angebliche Unterschied Mensch : Tier. Die römisch-katholische Kirche spricht trotz des heiligen Franzis- kus und des heiligen Antonius allein dem Menschen eine Seele zu. Die Frage, ob man nicht gegen die eigene Seele sün- digt, wenn man gegen die geringsten de- rer grausam ist, die der heilige Franziskus seine kleinen Brüder nannte, beiseite ge- lassen, denn die Vivisektoren glauben nicht an die Seele, sie sind überzeugt vom System der natürlichen Auslese, das we-
der Menschliches noch Göttliches an sich hat. Man kann ihnen daher nicht die Tor- heit zumuten, das Menschentier irgendwie heiliger zu halten als die anderen Tiere. Doch wer dem Vivisektor das Recht auf den Hund gibt, billigt ihm eigentlich auch das Recht zu, den Menschen als Ver- suchskaninchen zu verwenden.
Soweit ein Auszug aus der Beweisführung.
Noch zu seiner Einstellung zur Außenpoli- tik. Er war ein Mann des Friedens, doch meinte er, dem Bösen keinen Widerstand zu leisten wie es Tolstoi und Mahatma Gandhi sagen, hieße Aggressionen und Eroberungen auf den Plan rufen. Als Iren war ihm einseitiger Chauvinismus fremd. Schon im ersten Weltkrieg wandte er sich gegen indolenten Deutschenhass und nahm ihn in einem seiner Stücke aufs Korn. Im während des zweiten Weltkriegs 1944 erschienenen Werk “Everybody’s What’s What“ schrieb er, er empfinde die Verluste auf beiden Seiten, während die englischen Chauvinisten anscheinend meinen, der Mord an einem Engländer sei ein gutes Geschäft, wenn er durch den Mord an zwei Deutschen oder Italienern kompensiert werde.
Kehren wir zurück zu Bernard Shaw als Vegetarier. Mit der im eigenen Art von Humor skizziert er seine Begräbnisfeier: Dem Sarg werden keine Trauerkutschen folgen sondern Herden von Ochsen, Schafen und Schweinen, Hühnervölker und ein kleines fahrbares Aquarium mit lebenden Fischen, alle mit weißen Schlei- fen zu Ehren des Mannes, der lieber zugrunde ging, als seine Mitgeschöpfe zu essen; das bemerkenswerteste Schauspiel seit dem Zug der Tiere in Noahs Arche.
E.L.
Literatur: u.a.
Hesketh Pearson: Georg Bernard Shaw – Geist und Ironie,
Hermann Stresau, G.B. Shaw,
Günther Stolzenberg: Tolstoi-Gandhi-Shaw- Schweitzer,
G.B.Shaw: The Doctors Dilemma
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