Meinungsfreiheit

De Journalistenmorde im Jänner in Paris haben das Thema Meinungsfreiheit wieder ins Gespräch gebracht. Wie erinnerlich war der Tenor aller Äußerungen, ob von Politikern, Medienleuten, Kulturschaffenden flammende Empörung und ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Meinungsfreiheit. Stimmen, die Bedenken gegen das Recht, religiöse Symbole und Figuren herabzuwürdigen, etwa den Kopf des Propheten Mohammed als Bombe darzustellen oder die Jungfrau Maria als Hure, fanden sich eigentlich nicht. Der Chefredakteur einer auflagenstarken österreichischen Tageszeitung, die Mohammed- Karikaturen abgebildet hatte, forderte sogar, um der (seiner?) Sicherheit willen, im Kampf gegen den Terrorismus die Einschränkung anderer Freiheiten. Sozusagen Polizeistaat um der Meinungsfreiheit willen.

Der Pariser Anschlag war nicht der erste auf Medienleute. Vor etwa fünfzehn Jahren war nicht der ORF-Küniglberg, nein der Belgrader Fernsehturm Ziel eines verheerenden Bombenanschlags, Doppelt so viele Tote wie in Paris, Schwerverletzte konnte man erst nach Stunden aus den Trümmern bergen. Ich entsinne mich nicht, dass es damals im Westen nennenswerte Empörung, geschweige denn einen Aufschrei wie nach Paris gegeben hätte. Allerdings waren die Verantwortlichen keine Muslime sondern westliche Machthaber.

Zufällig geschah es, dass während den Terroropfern in Europa die Zeitungen Seiten über Seiten widmeten, im Gazastreifen zwei Babys erfroren. Das war den Gazetten, wenn überhaupt, gerade zwei Zeilen wert. Ähnliche Wertungsunterschiede in jüngster Zeit,. um beim Töten zu bleiben. In Ägypten: 1.000 Todesurteile unter der Militärdiktatur gegen Muslimbrüder blieben fast unkommentiert; dagegen auf der arabischen Halbinsel: Zwar nicht die amerikanischen Hinrichtungsmethode mittels Drohnen, doch die althergebrachte saudische Art der Urteilsvollstreckung wurde Gegenstand allgemeiner Empörung: die Enthauptung, einst in Europa unter dem Slogan „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ technisch perfektioniert und in manchen westlichen Staaten bis zur Abschaffung der Todesstrafe praktiziert.

Warum wir darüber reden? Hinrichtungsarten müssen Tierrechtler leider interessieren. Denn wird die Todesstrafe Gott sei Dank in Europa an Menschen nicht mehr praktiziert, an nichtmenschlichen Tieren ist sie bekanntlich gang und gäbe. Allein in Österreich müssen sie jährlich 100 Millionen erleiden, einfach nur, weil Menschen sie, die Tiere unnötigerweise essen möchten. Da kommt es schon sehr darauf an, wie das passiert. Ich erinnere mich eines britischen Films, der eindrucksvoll zu mehr Vorsicht im Straßenverkehr mahnen wollte. Da kam ein Kopf voller Gedanken vor, der sich dann als abgetrennt erwies: Im Nachspann wurde behauptet, so ein auf sein Haupt reduzierter Mensch könne noch bis zu zehn Minuten bei Bewusstsein sein. Immerhin, das wäre ein zusätzlicher Akzent zum Kampf der Tierschützer gegen das Schächten. Genug, unser Thema ist die Meinungsfreiheit.

Da wurde ein Disziplinarsenat gegen unserer frühere Justizministerin mobilisiert, wegen einer von den Medien aus dem Zusammenhang gerissenen, vermutlich zutreffenden, doch unglücklichen Formulierung. Es ließen sich noch zahlreiche andere sachlich richtige Meinungsäußerungen anführen, die faktisch mit Berufsverlust geahndet wurden. Ich möchte hier nur ei paar nennen, die zu straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen führten. Den Hinweis, bei Pelzverkauf würde es zu Tierschutzdemonstrationen kommen, wertete ein Staatsanwalt und ein Obergericht als Gefährliche Drohung und als kriminelle versuchte Nötigung, der Slogan „Nur ein Kamel geht meilenweit für eine Zigarette“ kostete einem Passivraucher-Schutzverein immense Gerichtskosten, das Vorzeigen eines Pelztierkäfigs im Zusammenhang mit einer Webmodenschau einer Tierschutzaktivistin ebenfalls gut 200.000 Schilling. In der anima stand damals: „Adolf Hitler brauchte noch Gestapo und KZ, um die Meinungsfreiheit zu knebeln. Reicht heute die Geschäftsstörungsklage?“

/Adolf Hitler brauchte noch Gestapo und KZ, um die Meinungsfreiheit zu knebeln. Reicht heute die Geschäftsstörungsklage?/

Damit wären wir beim Stichwort KZ und beim KZ-Vergleich, auch ein Kapitel, wo das Getöne von der Meinungsfreiheit hohl klingt. Die Auffassungen sind sehr geteilt, es gibt für die divergierenden Standpunkte lange tief- und scharfsinnige Abhandlungen, Gerichte wurden bemüht, mit und ohne Erfolg – wir hatten wiederholt berichtet. Das Thema ist insofern aktuell, als am Tierrechtskongress im vergangenen Herbst erstmals der „Tierrechtsphilosoph“ Helmut F. Kaplan teilnehmen konnte, ein bekannter Verfechter des Vergleichs. Das führte zu einem heftigen öffentlichen Protest der BAT. Diese eher linke und radikale Tierrechtsgruppe ist zwar nicht so bekannt. doch war sie von der Staatsanwaltschaft sozusagen geadelt worden: Sie hatte an die sechs Angeklagte im Wiener Neustädter Tierschützerprozess zu stellen.

Manche Tierfreunde, sogar Israeli, verwenden den KZ/Holocaust-Vergleich in der Annahme, er helfe, dem breiten Publikum die Schrecklichkeiten des Nutztierlebens und -sterbens drastisch vor Augen zu führen. Erregt der Vergleich jedoch Empörung nicht gegen die Tierausbeuter sondern gegen die Tierfreunde, verfehlt er seinen Zweck. Dann sollten wir ihn lieber bleiben lassen. Dies mein pragmatische Standpunkt. Der scheiterte allerdings seinerzeit in unserer anima-Redaktion intern am Widerstand einer Mitarbeiterin, die ihre halbe Verwandtschaft im Holocaust verloren hatte und dennoch die Gegenüberstellung glühend verteidigte. Das ist kein Einzelfall. Als in den 70er Jahren der durchs Fernsehen bekannte Zoologe Grzimek die Bezeichnung Hühner-KZ und KZ-Hühner populär machte, waren es Hühnerbarone, nicht Naziopfer, die ihn (vergeblich) vor Gericht zerrten. Im Gegenteil, manch Überlebender, der das KZ noch erleiden musste, hielt aus eigener Anschauung den Vergleich für passend. Die Mentalität war damals, als noch viele während des NS-Regimes Verfolgte lebten, eine andere. So verhinderte Ende der 70er Jahre niemand den Abriss der einzigen (freistehenden) Synagoge, die das Hitler-Regime in Österreich bestehen hatte lassen. Erst viel später, unter den Nachgeborenen, gewann die Gedenkkultur an Boden.

Die vorstehend zitierten Fragmente aus der Fülle des Tatsachenmaterials zum Thema „Haben wir Meinungsfreiheit“ lassen zögern, mit ja zu antworten. Es scheint eher, dass vor allem die Meinung der Herrschenden und die herrschende Meinung frei sind. Die Frage, wer hat Zugang zu den tatsächlich meinungsbildenden Medien, ist da noch gar nicht gestellt. Und auch nicht die Frage der Informationsfreiheit, der Voraussetzung für sinnvolle Meinungsbildung. Gerade was unser Ressort, die Behandlung der Nutz-, der Versuchstiere betrifft, sehen wir mit Sorge immer mehr einschränkende, verheimlichende Reglementierungen.

Erwin Lauppert

aus anima Nr.1/2015