Veggi-Boom?

Solid oder Blase?

In einer Diskussion beim Tierrechtskongress im Oktober waren Junge begeistert: Es geht rasant aufwärts mit dem Veggietum, weg vom Fleisch, immer mehr vegan. Unter Älteren gibt es da auch Skeptiker. Prüfen wir.

Eines steht außer Zweifell, der Vegetarismus ist, auch in der strengen veganen Form in der Gesellschaft angekommen. Veggies gelten nicht mehr als verschrobene Aussenseiter . Ihre Zahl ist gestiegen,  die Buchhandlungen quellen vor einschlägigen Kochbüchern fast über, Fleisch/Milchersatz gibt es in allen Lebensmittelmärkten. Noch vor 15, 20  Jahren bemühten wir uns vergeblich Soja-Joghurt ins Regal zu bringen. Doch sind die vor einem Jahr erhobenen neun Prozent real?

Meine Beobachtung ist, sagt ein deutscher Soziologe, dass es eher einen Anstieg des gefühlten und des geäußerten Vegetarismus gibt, im Gegensatz zu einem tatsächlichen Fleischverzicht. Wer sich als Vegetarier deklariert, stehe gefühlsmäßig auf der sozialen Stufenleiter höher, werden doch Themen wie Fleischverzicht, ein Akt der Selbstdisziplinierung, Klimaschutz etc. eher von gebildeteren, besser verdienenden Schichten getragen.

Fragt der Meinungsforscher, ob man Vegetarier ist, sagt man vielleicht ja, weil man es sein möchte. Der Fleischatlas 2014 gibt die Zahl der Vegetarier in Deutschland mit 3 % an, Bei 9 % müssten eigentlich die Zahl der Veggie-Lokale, das Veggie-Angebot in den Speisekarten größer, die Veggie-Regale in den Supermärkten  länger sein.

Spekulieren über Zahlen bringt wenig. Die Frage ist, wie können wir den Trend halten, steigern?

Ältere denken zurück. Wie oft hat sich der Zeitgeist im letzten Jahhrundert, in den letzten Jahrzehnten geändert. Wie  viele von den Gewerkschaften hart erkämpfte sozialen Errungenschaften werden heute als Privilegien diffamiert.

Schon einmal, vor mehr als 100 Jahren war Vegetarismus „in“, allgemeines Diskussionsthema, es gab in jeder besseren Stadt ein oder mehrere vegetarische Speiselokale – bald vergangen.

Eine repräsentative Umfrage, jüngst in den USA gibt zu denken. Die Zahl der Vegetarier beider Richtungen  zusammen wird mit zwei Prozent angegeben, doch die Zahl der gewesenen Vegetaríer mit 10 Prozent.

Das Kernthema also: wie halte ich Menschen beim Vegetarismus fest?

Aus em Gefühl heraus zwei Vorschläge:

Tun wir alles, um das Veggiesein zu erleichtern, bemühen wir uns um neue Restaurants, mehr Veggie-Gerichte in den Speisekarten und den Lebensmittelregalen.

Und stecken wir das Ziel nicht zu hoch. Wer höher klettert, fällt leichter hinunter.

Bemühen wir uns, den Menschen erst einmal den Laktovegetarismus schmackhaft zu machen. Damit verhindern wir mehr als 99 Prozent aller Tiertötungen für Nahrungszwecke; der Veganismus, der wesentlich mehr Anstrengung erfordert und nur das restliche halbe Prozent bringt, kommt dann früher oder später von allein. (Die vielen Tieropfer, die der Pflanzebau fordert, können wir mit und ohne Veganismus leider nicht vermeiden).

Erwin Lauppert  (aus anima Nr. 4/2014/15