George Bernard Shaw

 

Wiedergabe aus der anima – Winternummer  2010/2011, Seite 3 bis 5:

George Bernard Shaw – Ein übezeugter Vegetarier – Zur 60.Wiederkehr seines Todestags

In der letzten anima hatten wir eines Schriftstellers von  Weltgeltung gedacht – Leo Tolstoi, vor hundert Jahren von uns gegangen. Vor sechzig Jahren im November 1950 ist ein zweiter Großer gestorben, George Bernard Shaw, Nobelpreisträger für Literatur, wie Tolstoi Vegetarier. Darum in dieser anima ein paar Worte des Gedenkens.

Shaw wurde 1856 in Dublin geboren, in eine so hundert Jahre zuvor aus England eingewanderte Familie des gehobenen Mittelstands (ohne Mittel, wie er sarkastisch bemerkte). Der Vater war dem Alkohol zugetan, die Mutter darob ihrem Mann entfremdet, tröstete sich mit Gesangstudien. Seine Schulzeit war nicht allzu erfolgreich – Shaw hielt Zeit seines Lebens  das Schulsystem seines Landes für verfehlt. – Er lernte da aber immerhin eines: die katholischen Iren, von den irischen Protestanten englischer Wurzel zwar nicht gerade als Untermenschen, doch als untere Menschen abgewertet, sind nicht weniger wert. Ein zweites nahm der Heranwachsende mit dank der Leidenschaft seiner Mutter, profundes Musikwissen in der Sparte Gesang, für den späteren Musikkritiker Hilfe. Mit fünfzehn Jahren begann Shaw eine Bürolehre, mit zwanzig ließ er das Büro und zog nach London  zu seiner Mutter. Die war schon Jahre zuvor ihrem Gesangslehrer dorthin gefolgt. Es folgte ein knappes Jahrzehnt finanziell eher kümmerlichen Lebens. Er versuchte sich als Romanschriftsteller ohne Erfolg, schulte seine Rednergabe in Debattierklubs,  studierte (u.a. Karl Marx und Richard Wagner) und wurde  bald bedeutendes Mitglied der gerade gegründeten Fabian Society, einer intellektuell geprägten kleineren Gruppe, die gesellschaftliche Veränderungen in Richtung Sozialismus auf evolutionärem Weg anstrebte, Vorläuferin der britischen Arbeiterpartei. Viele Jahre war Shaw auch unermüdlich als Redner und Propagandist für diese Sache tätig, etliche Jahre um 1900 auch Stadtrat in einem großen Londoner Bezirk.

Allmählich konnte er sich als Musik-, Literatur- und Theaterkritiker unkonventioneller Art etablieren. Schon damals legte er den Grund zu seinem späteren Beinamen „der große Spötter“; „G. B. Shaw – Geist und Ironie“ lautet der Titel der von Hesketh Pearson verfassten Schriftsteller-Biographie. Seine eigentliche Bestimmung fand Shaw erst in den neunziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts als Dramatiker. Über fünfzig Stücke entstanden im Laufe seines Lebens, häufig sozialkritischer Tendenz, komödiantisch und ernst, meist mit  ironisch- satirischem Einschlag. Es geht weniger um Handlung als um den Streit der Meinungen. Ein besonderes Merkmal seiner Arbeiten sind die Vorworte zu den Schauspielen, oft erheblich länger als diese selbst. Er behandelt hier ausführlich die in den Stücken angeschnittenen moralischen, sozialen, religiösen und politischen Probleme. Im Alter von 70 Jahren erhielt Shaw den Literatur-Nobelpreis „für ein Œuvre, das von Idealismus und Menschenliebe gekennzeichnet ist, für seine brillante Satire, die sich oft mit außergewöhnlicher poetischer Schönheit verbindet.“  Es ist hier nicht Raum genug, um auf all seine Aktivitäten und Anschauungen näher einzugehen, erwähnt sei nur noch seine wie erwähnt aktive Teilnahme am politischen Geschehen und viele diesbezügliche Schriften.

Der Vegetarier Bernard Shaw

In einer Vegetarierzeitschrift interessiert natürlich vor allem die vegetarische Seite.

Shaw wurde bereits früh Vegetarier, mit ca. 25 Jahren, nachdem er sich eingehend mit dem englischen Dichter Shelley (1792 – 1822) befasst hatte. Der Vegetarismus Percy Bysshe Shelleys wurde von seinen Zeitgenossen meist als Spleen abgetan. Tatsächlich gab es aber im angelsächsischen Raum bereits im 18. und auch schon im 17.Jahrhundert ernsthafte Vordenker, teils religiös teils naturalistisch fundiert. Der Vegetarismus Shelleys war vornehmlich naturalistisch begründet, wie in seiner Schrift A Vindication of Natural Diet dargelegt.

Zu erwähnen ist: Die vegetarische Lebensweise war  im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts durchaus nicht auf ein paar kautzige Außenseiter beschränkt (wenngleich Shaw in der Öffentlichkeit bald als solcher galt.) Ihr  Anhängerkreis war zwar sehr klein, mehr oder minder aufs bürgerliche Milieu beschränkt.  Doch bedeutende Persönlichkeiten propagierten sie, wie erwähnt Tolstoi, Richard Wagner, zu dessen Werk Shaw eine besondere Beziehung hatte; auch Viktor Adler, der Begründer bzw. Einiger der österreichischen Sozialdemokratie war wenn auch nur kurze Zeit Vegetarier. Zahlreiche vegetarische Restaurants waren entstanden.

Shaw nannte Fleischessen Kannibalimus ohne Heroismus.  Seine Haupteinwände gegen den Fleischkonsum:

Er ist verabscheuungswürdig – Tiere sind unsere Mit-Geschöpfe. Ich hege starke  verwandtschaftliche Mitgefühle für sie.

Sein zweites, sonst eher selten gehörtes Argument: Fleischessen ist in sozialer Hinsicht schädlich. Es bedeutet immense Versklavung der Menschen durch die Tiere. Kühe und Schafe benötigen eine Schar von Dienern, Geburtshelfer, Hirten, Züchter, Schlächter, Fleischer, Milchmädchen usw. Diese menschliche Arbeitskraft sollte man lieber dem Aufziehen und Betreuen von Menschen widmen.

Schließlich: Vegetarismus fördert Gesundheit und Energie.

Shaw und die Vivisektion

In einer Würdigung des Schriftstellers aus Tierschutzsicht darf seine entschieden negative Einstellung gegenüber der Vivisektion nicht fehlen. Shaw, der überhaupt kein Freund der Schulmedizin war, sagt in der langen Vorrede zu seinem 1906 verfassten Theaterstück The Doctor’s Dilemma (Arzt am Scheideweg) viel Negatives zum Ärztewesen. Vieles davon ist zeitgebunden, manches auch heute noch aktuell. Von den über hundert Seiten  des Elaborats handeln dreißig  von der Vivisektion. In wenigen Zeilen kann seine Argumentation nur bruchstückhaft wiedergegeben werden:

Zahlreiche Schriftsteller, Fürsprecher der Menschlichkeit haben dem natürlichen Entsetzen des geistesgesunden Menschen über die Grausamkeit des Vivisektors und der Verachtung, die ernste Denker  gegenüber seinen schwachsinnigen Ausreden hegen, Ausdruck verliehen. Nicht ein Arzt unter tausend ist Vivisektor, hat das geringste finanzielle oder fachliche Interesse an dessen Tätigkeit. Dennoch stimmen die Ärzte der Vivisektion zu, genau so wie sie irgend einer anderen dummen Mode zustimmen. Das Geheimnis ist, wie konnte Vivisektion zu einer Mode werden.

Die Neugier, das Streben nach Wissen ist dem Menschen immanent, doch ohne Beschränkung, losgelöst von den Gesetzen der Ehre,  führt es zu Anarchie und Grausamkeit. Keinem Menschen wird erlaubt, seine Mutter in einen Ofen zu stecken, auch wenn es eine wichtige Erkenntnis wäre herauszufinden, wie lange ein Mensch der Hitze widersteht. Die Gesellschaft sagt: Nein, du darfst deine Mutter nicht martern, nicht einmal wenn du dadurch ein Heilmittel gegen Krebs finden könntest. Dumme  und gefühllose Menschen, denen nicht klar ist, dass ein Hund ein Mitgeschöpf und manchmal ein guter Freund ist, werden vielleicht sagen, aber einen Hund schon, aber sicher nicht: Du darfst meinen Hund martern. Während die dümmsten Menschen eigentlich sagen, wenn du das Wissen nicht erlangen kannst, ohne deine Mutter zu verbrennen, musst du auf das Wissen verzichten, sagen die weisesten Menschen: Wenn du das Wissen nicht erlangen kannst, ohne einen Hund zu martern, musst du auf das Wissen verzichten.

Die öffentliche Unterstützung der Vivisektion gründet sich fast allein auf die Versicherung, diese Methode bringe der Allgemeinheit große Wohltaten. Er gebe nicht einen Augenblick zu, solch eine Verteidigung sei stichhältig, selbst wenn jene Versicherung zuträfe. Wissenschaftliche Erkenntnis ist kein Freibrief für Unmenschlichkeit.

Die Erfindung des Röntgens hat der Medizin mehr Erkenntnis gebracht, als alle Vivisektion. Wenn die Vivisektoren versichern, es gebe keinen anderen Schlüssel zur Wissenschaft als Grausamkeit,  „antworten wir kurz und  verachtungsvoll: Sie meinen, sie sind nicht gescheit oder menschlich oder energisch genug, einen anderen Schlüssel zu finden.“  Warum finden so viele Tierversuche statt, weil sie billig sind.

Gegner der Vivisektion werfen den Wissenschaftlern manchmal Hang, Trieb zu Grausamkeit vor. Dieses Argument ist zwiespältig. Einmal, weil die allermeisten, die Grausamkeit praktizieren, dies nicht aus Drang zu Grausamkeit sondern nur aus Routine tun. Zum anderen, weil Grausamkeit nicht auf Vivisektoren beschränkt ist, sondern sich in vielen Bereichen des menschlichen Lebens finde.

Er sei einmal von einer Antivivisektionsgesellschaft zu einer großen Veranstaltung eingeladen worden Gemeinsam mit Fuchsjägern  und  anderen, die Jagd, als Sport betreiben, mit Damen in Hüten und Mänteln, die sie dem grausamen Fallenstellen und der rohen Ausrottung unserer Mitgeschöpfe verdankten, mit Liebhabern weißen Kalbfleischs und von Gänseleberpastete etc. sei er auf der Tribüne gestanden. Er habe in seiner wirkungsvollen Rede nicht gegen Vivisektion allein sondern die Grausamkeit im allgemeinen gesprochen. Eingeladen habe ihn die Gesellschaft nie mehr.

Wäre da noch der angebliche Unterschied Mensch : Tier. Die römisch-katholische Kirche spricht trotz des heiligen Franziskus und des heiligen Antonius allein dem Menschen eine Seele zu. Die Frage, ob man nicht gegen die eigene Seele sündigt, wenn man gegen die geringsten derer grausam ist, die der heilige Franziskus seine kleinen Brüder nannte, beiseite gelassen, denn die Vivisektoren glauben nicht an die Seele, sie sind überzeugt vom System der natürlichen Auslese, das weder Menschliches noch Göttliches an sich hat. Man kann ihnen daher nicht die Torheit zumuten, das Menschentier irgendwie heiliger zu halten als die anderen Tiere. Doch wer dem Vivisektor das Recht auf den Hund gibt, billigt ihm eigentlich auch das Recht zu, den Menschen als Versuchskaninchen zu verwenden.

Soweit ein Auszug aus der Beweisführung.

Noch zu seiner Einstellung zur Außenpolitik. Er war ein Mann des Friedens, doch meinte er, dem Bösen keinen Widerstand zu leisten wie es Tolstoi und Mahatma Gandhi sagen, hieße Aggressionen und Eroberungen auf den Plan rufen. Als Iren war ihm einseitiger Chauvinismus fremd. Schon im ersten Weltkrieg wandte er sich gegen indolenten Deutschenhass und nahm ihn in einem seiner Stücke aufs Korn. Im während des zweiten Weltkriegs 1944 erschienenen Werk “Everybody’s What’s What“ schrieb er, er empfinde die Verluste auf beiden Seiten, während die englischen Chauvinisten anscheinend meinen, der Mord an einem Engländer sei ein gutes Geschäft, wenn er durch den Mord an zwei Deutschen oder Italienern kompensiert werde.

Kehren wir zurück zu Bernard Shaw als Vegetarier. Mit der im eigenen Art von Humor skizziert er seine Begräbnisfeier: Dem Sarg werden keine Trauerkutschen folgen sondern Herden von Ochsen, Schafen und Schweinen, Hühnervölker und ein kleines fahrbares Aquarium mit lebenden Fischen, alle mit weißen Schleifen zu Ehren des Mannes, der lieber zugrunde ging, als seine Mitgeschöpfe zu essen; das bemerkenswerteste Schauspiel seit dem Zug der Tiere in Noahs Arche.

E.L.

Literatur: u.a. Hesketh Pearson: Georg Bernard Shaw – Geist und Ironie, Hermann Stresau, G.B. Shaw,Günther Stolzenberg:  Tolstoi-Gandhi-Shaw-Schweitzer, G.B.Shaw: The Doctors Dilemma

Georg Bernard Shaw: Tiere sind meine Freunde – und ich esse meine Freunde nicht.