"Öffentlichkeit" bei Gericht

20 Sitzplätze für 500.000 Tierfreunde

Die Verhandlungen in Zivil- und Straf-rechtssachen vor dem erkennenden Gericht sind öffentlich, steht in Artikel 90 der österr. Bundesverfassung. Und die Praxis?

Im Tierschützerprozess in Wiener Neu-stadt, der sich seit Monaten hinzieht, gibt es 13 Angeklagte und formal 80 Plätze für Zuschauer. Auf ungefähr der Hälfte davon sitzen Polizeischüler, 20 sind für die Presse reserviert- die kommt aber kaum, weil für die breite Leserschaft zu langweilig, und sie berichtet auch nicht. Bleiben zwanzig Plätze für interessierte Bürgerinnen und Bürger. Theoretisch.

Denn für die Plätze werden – so die offizielle Version – ab 8 Uhr (der Prozess beginnt um 9 Uhr) gegen Personalausweis Platzkarten ausgeteilt. Die Polizeischüler stellen sich wohl immer sehr früh an und bekommen so sicher ihre Karten. Besorgen sich irgendwelche zwanzig Leute die übrigen Karten und kommen dann nicht, ist das Kontingent trotzdem vergeben und niemand anderer darf mehr in den Verhandlungssaal. Theoretisch könnten je Angeklagten gerade einmal eineinhalb Freunde oder Angehörige den Prozessverlauf beobachten, vorausgesetzt sie haben sich brav ganz früh angestellt. Tatsächlich wurde trotz vieler freier Plätze selbst der Vater eines Angeklagten am Betreten des Saales gehindert.

Soweit die Auslegung des Begriffs „öffentlich“ durch die Justiz und ihre Ministerin.

Der Ordnung halber hier der Wortlaut der Antwort des Justizministeriums auf unsere Anfrage an die Frau Justizministerin:

BUNDESMINISTERIUM FÜR JUSTIZ

BMJ-A911.037/0002-III 5/2010

… in Beantwortung Ihres Schreibens vom 5. Mai 2010 kann ich Ihnen nunmehr Folgendes mitteilen:

In der Strafsache 41 Hv 68/09z des Landesgerichtes Wr. Neustadt („Tierschützer-prozess“) wurden und werden wegen des großen Andrangs von Zuhörern Platzkarten ausgegeben, wobei von den vorhandenen zirka 80 Sitzplätzen über Ersuchen der Pressevertreter 20 Plätze für die Dauer des Verfahrens für die Medien reserviert wurden. Die restlichen zirka 60 Sitzplätze werden ab 8.00 Uhr an interessierte Zuhörer ausschließlich in der zeitlichen Reihenfolge ihres Erscheinens bei Gericht ausgegeben.

Da Personen, denen eine Platzkarte ausgefolgt worden ist, nicht immer während der gesamten Dauer der Verhandlung an einem Tag anwesend sind, kommt es vor, dass gelegentlich Sitzplätze frei sind. Richtig ist, dass fallweise auch Polizeischülerinnen und -schüler die oben genannte Verhandlung verfolgen. Eine Bevorzugung dieser Personengruppe bei der Ausgabe der Platzkarten findet jedoch nicht statt.

Ein „faktischer Ausschluss“ der Öffentlichkeit liegt somit nicht vor, vielmehr garantiert die Reservierung von 20 Plätzen für Vertreter der Medien im besonderen Maße die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung.


21. Mai 2010

Für die Bundesministerin: …

Aus anima, Nr.2/2010, Sommer 2010. Siehe auch www.vegetarier.at