Fleisch – Lebensmittel der Unterschicht

Einst prassten die Reichen, während die Armen am Hungertuch nagten. Wer oben war, hatte Fleisch in Hülle und Fülle, wer unten war, musste darben. Fleisch war teuer, war Zeichen für Wohlstand, Statussymbol. Verständlich dass das Sehnen der Armen sich auf den Braten konzentrierte. Ein Nachhall alter Proletarierwünsche war nebenbei die seinerzeit in einigen Ostblockstaaten forcierte wirtschaftlich unvernünftige Fleischproduktion.

Die Zeiten haben sich geändert. Die brutale Ausbeutung der Nutztiere, Qualzuchten, Massentierhaltung, haben Fleisch zu einem billigen Massengut gemacht. War vor fünfzig Jahren ein Brathuhn noch etwas für besondere Sonntage, ist es heute Alltagsware, von der sich „bessere Leute“ abwenden.

Achim Spiller, Univ.-Professor für Agrar-Marketing, Göttingen in einer Studie über Zukunftsperspektiven der Fleischwirtschaft: „Die soziale Schichtung der Gesellschaft schlägt sich auch in den Bemühungen der Verbraucher nieder, sich sozial abzugrenzen bzw. abzuheben. Soziologen bezeichnen dies als Distinktionsverhalten oder demonstrativen Konsum. Während Luxusspeisen und insbesondere ein hoher Fleischkonsum über Jahrhunderte ein Zeichen von Wohlstand waren und eine wichtige Rolle bei der Statusdemonstration spielten, hat die Ernährung diese Funktion zugunsten anderer Lebensbereiche wie Mobilität, Reisen oder Wohnen verloren. Große Fleischmengen sind heute teilweise geradezu verpönt. In der Gastronomie gelten „Fleischberge“ z. B. als Charakteristika einer niedrigpreisigen ‚Balkanküche’.“

Konsumerhebungen, so Spiller, deuten darauf hin, dass ein hoher Fleischkonsum immer stärker zum Unterschichtenphänomen wird. Mit steigender Bildung sinkt die Konsummenge an Fleisch. So zeige eine Untersuchung einen um die Hälfte höheren Wurstkonsum von Hauptschulabsolventen gegenüber Hochschulabsolventen, bei Fleisch betrug der Unterschied nie Männern 20% und bei Frauen 30 %.

Bezeichnend auch die Zahlen fürs Gewicht. Übergewicht gelte heute im Wesentlichen als ein Unterschichtenphänomen. Ernährungswissenschaftler kritisieren in diesem Zusammenhang fast immer auch den zu hohen Fleischkonsum der Bevölkerung. Besser gebildete, einkommensstärkere Personen ernährten sich in der Regel gesünder und umweltbewusster.

Bio-Konsum, Gesundheitswelle und die anderen Trends (Fairtrade, Tierschutz etc.) gingen mit einem sinkenden Fleischverbrauch einher. Besonders bedenklich aus Sicht der Fleischwirtschaft sei der wachsende Vegetarieranteil, auch der vornehmlich bei den Gebildeteren, so Spiller.

Es gibt in der Soziologie den Begriff des gefallenen Kulturguts. Die unteren sozialen Schichten übernehmen allmählich die Denkvorstellungen und Bräuche der Oberschicht.

Vegetarische Kost ist gesund, schmackhaft, tierfreundlich, klimaschonend und billig. Auch wer nicht das Glück hat, oben zu sein, ist nicht blöd. Wir sind überzeugt, die sogenannte Unterschicht wird sich bald zu einer fleischarmen oder vegetarischen Kost bekehren. E.L.

Aus anima Nr.2/2009