Frau Loubé an den Herrn Bundespräsidenten

Frau Lucie Loubé, die langjährige Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins und jetzige Präsidentin des Verbandes östereichischer Tierschutzorganisationen hat namens des Verbandes folgendes Schreiben an den Herrn Bundespräsidenten gerichtet:
Bundespräsident
Dr. Heinz Fischer
Hofburg
1010 Wien

Wien, 6. Juni 2008

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

wie Sie sicherlich gehört haben, führten Polizeieinheiten am 21. Mai d.J. österreichweit Razzien bei Tierschützern durch. Dabei kam es zu unglaublichen Szenen. In Wien rannten Sonderkommandos der WEGA mit Rammböcken ohne Vorwarnung die Türen ein und bedrohten die zum Teil noch im Bett liegenden Personen mit gezogener Pistole. Eine Person wurde – nur mit Unterhose bekleidet –, dafür aber in Handschellen ins Treppenhaus geführt, offensichtlich zur Demütigung vor den Nachbarn. Das sind Zustände, die man sich in einem Rechtsstaat wie Österreich gar nicht vorstellen kann, leider treffen sie zu!

Die Behörden versichern zwar, dass diese Razzien nicht gegen den Tierschutz, sondern nur gegen „militante“ Tierschützer gerichtet sind, was ich allerdings nicht glauben kann. Wenn dem so wäre, warum wurden dann von einigen Vereinen Spenderdatenbanken, PCs, Handys oder Fotoarchive beschlagnahmt und bislang noch nicht retourniert? Sollen diese offenbar politisch missliebigen Gruppen an ihrer Arbeit gehindert, soll ihnen die Infrastruktur genommen werden?

Der Skandal setzt sich in der Untersuchungshaft nahtlos fort. Bis dato behält die Staatsanwaltschaft scheinbare Beweise zurück, welche ihr Vorgehen rechtfertigen würde. Alles, was den Anwälten zur Verfügung gestellt wird, ist mehr oder minder nichts sagendes Material aus E-Mails oder abgehörten Telefonaten. Einige der Gefangenen, vor allem DDr. Martin Balluch, befinden sich in einem körperlich sehr schlechten Zustand. Zudem sind die zehn inhaftierten Tierschützer allerlei Schikanen (Formularswirrwarr, Gewaltverbrecher in derselben Zelle, usw.) ausgesetzt, die ich hier gar nicht alle anführen kann.

Ich bin seit über drei Jahrzehnten im Tierschutz tätig. Während all dieser Jahre ist mir kein ähnlich gearteter Fall bekannt. Niemals zuvor wurden die Grundrechte von Tierschützern (Meinungsfreiheit, Unschuldsvermutung etc.) derart mit Füßen getreten wie jetzt! Aus diesem Grund hat der Verband Österreichischer Tierschutzorganisationen – pro-tier.at seine Feierlichkeiten zum Dreißigjahr-Jubiläum im Wr. Rathaus abgesagt.  In Zeiten wie diesen gibt es wahrlich keinen Grund zur Feier. Sehr geehrter Herr Doktor Fischer, bitte helfen Sie!

In Erwartung Ihrer geschätzten Antwort verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung

Lucie Loubé
Präsidentin

.-..-..-

Die Untersuchungshaft gegen die zehn inhaftierten Tierschützer wurde am 6.Juni um einen Monat verlängert. Sie wurden teils nach Wien und Eisenstadt verlegt.